Gott und die Schule

■ Ist der bekennende Unterricht angesichts der ausdifferenzierten Glaubensrichtungen überhaupt noch sinnvoll? Eine Neubesinnung in der Diskussion fordert  Sanem Kleff

Abweichend von den meisten Bundesländern gilt in Berlin die „Bremer Klausel“, die es ermöglicht, den Religionsunterricht als freiwilliges Fach in der Schule anzubieten. Von den rund 400.000 SchülerInnen in Berlin nehmen gegenwärtig 93.800 am Religionsunterricht der evangelischen und 17.900 am Religionsunterricht der katholischen Kirche teil. Der Humanistische Verband erteilt das Fach Lebenskunde für 17.300 SchülerInnen. Daneben wird das Fach „Ethik/Philosophie“ als Modellversuch an einigen Schulen unterrichtet. Für die etwa 30.000 SchülerInnen mit muslimischem Hintergrund gibt es in Berlin bislang kein Angebot eines bekennenden Religionsunterricht, obwohl dieser unter dem Aspekt der Gleichbehandlung der Religionen von Eltern und der GEW gefordert wird.

Die Realisierung dieser Forderung scheiterte bislang auch daran, dass es keinen als Glaubensgemeinschaft anerkannten Träger für einen solchen Unterricht gab. Inzwischen hat aber das Oberverwaltungsgericht in erster Instanz die Islamische Föderation als Glaubensgemeinschaft anerkannt. Trotzdem wird es vorerst keinen „Islamunterricht“ geben, denn die Senatsschulverwaltung hat gegen diese Entscheidung Revision eingelegt, die inzwischen auch angenommen worden ist. Der Islamischen Föderation wird unter anderem vorgeworfen, mit antisemitischen Gruppierungen, die für eine totalitär-islamistische Gesellschaftsordnung kämpfen, in engster personeller und inhaltlicher Verbindung zu stehen. Sie sei keine Glaubensgemeinschaft, sondern eine politische Gruppierung. Bleibt die Revision allerdings erfolglos, dann kann die „Islam-Föderation“ nicht nur in die Berliner Schule einziehen, sondern erhält, wie andere Träger von bekennendem Religionsunterricht auch, 90 Prozent der Personalmittel vom Staat. Wen sie dann in den Unterricht schickt, kann sie selbst bestimmen. Aber Probleme gibt es nicht nur mit dem Träger: Genauso wenig wie es den Islam gibt, gibt es das Christentum. Bezeichnet man die unterschiedlichen Richtungen des Islam (theologisch nicht ganz zutreffend) als Konfessionen, so müsste in Berlin mindestens für zwei Konfessionen Unterricht angeboten werden: die sunnitische und die alevitische.

Die Senatsschulverwaltung will sich darüber hinwegsetzen. Auf Anregung des Türkischen Bundes schlägt sie ein nicht bekennendes Fach „Islamkunde“ vor, an dem muslimische SchülerInnen aller Konfessionen teilnehmen können. Das neue Fach soll über die muslimischen Traditionen informieren und zum Dialog zwischen den Konfessionen beitragen, ein durchaus begrüßenswertes Konzept. „Islamkunde“ soll laut Senatsschulverwaltung als Modellversuch an sieben Schulen durchgeführt werden, wobei nicht klar ist, nach welchen Kriterien diese Schulen ausgewählt wurden. Obwohl die Umsetzung bereits für das kommende Halbjahr angekündigt ist, liegen bislang weder ausgereifte Unterrichtskonzepte vor, noch sind Lehrkräfte für das neue Fach qualifiziert worden.

Die beiden christlichen Kirchen in Berlin schlagen ihrerseits das Modell der „Fächergruppe“ als Pflichtfach vor. Dies würde auch das Problem der Betreuung der „Nichtreligionskinder“ lösen. Dabei könnten weiterhin beliebig viele unterschiedliche Angebote bekennender und nicht bekennender Art gemacht werden. Die Ausbildung der Lehrkräfte bliebe allerdings wie bisher den Trägern überlassen, während die Personalkosten der Staat übernimmt, im Falle eines benoteten Pflichtfachs sogar zu 100 statt zu 90 Prozent wie bislang.

Während des „Fächergruppen-Unterrichts“ würde sich die Klasse in fünf, sieben oder mehr Gruppen aufteilen. Hier würde bekennender Religionsunterricht unterschiedlichster Varianten, Lebenskunde, islamische Religionskunde, Ethik, Philosophie und vieles mehr parallel erteilt werden. Die Chance, allen SchülerInnen Wissen um verschiedene religiöse und weltanschauliche Ansichten zu vermitteln, würde damit vertan, ein lebendiger Austausch über unterschiedliche Sichtweisen erschwert. Obwohl die Kirchen immer wieder betonen, dass gerade die „Fächergruppe“ einen Dialog der Anschauungen ermögliche: Ich bezweifle, dass dieser in der Praxis stattfinden würde.

Die gegenwärtig praktizierten und diskutierten Modell werden meiner Meinung nach der gesellschaftlichen Realität nicht gerecht und haben das entscheidende Manko, dass nicht der Dialog zwischen den Weltanschauungen gefordert wird, sondern die SchülerInnen verschiedener religiöser und weltanschaulicher Ausrichtungen fein säuberlich voneinander getrennt werden. Zudem: Eine Kontrolle, was da wer mit erheblicher Finanzierung durch Steuergelder unterrichtet, gibt es kaum. Und: Das zusätzliche Fach „Religion“ wird oft mit Erwartungen überfrachtet, die es weder einlösen kann noch darf. Schule in der multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft ist nicht dazu da, spezifische kulturelle oder religiöse Identität zu vermitteln.

Ich ziehe deshalb für Berlin folgende Konsequenzen:

* Eine demokratische, pluralistische Gesellschaft muss die multireligiöse Zusammensetzung ihrer Bevölkerung zum Ausgangspunkt der Überlegungen zur Beziehung zwischen Kirchen und Staat machen. Die Bevölkerung von Berlin ist durch die Ost/West-Mischung und die Zuwanderung jüdischer, orthodoxer und muslimischer Einwohner vielfältiger zusammengesetzt als in den anderen Bundesländern. Diese Realität und nicht die Bevölkerungsstruktur von vor hundert Jahren oder die in Bayern ist für Berlin relevant.

* Alle Glaubensrichtungen sind an den selben Maßstäben (wie zum Beispiel die Menschenrechte) zu messen. Grundsätzlich sind alle Konfessionen gleich zu behandeln.

* Aus pädagogischer Sicht spricht in der multikulturellen Gesellschaft alles für einen gemeinsamen Unterricht für alle SchülerInnen.

* Dieser Unterricht müsste von staatlich ausgebildeten LehrerInnen erteilt werden. (Zur Zeit werden bereits Lehrerstunden im Umfang von 73 Stellen für die Erteilung des Religionsunterrichts zur Verfügung gestellt.)

* Religiöse Weltbilder sind nicht nur kognitiv zu erfassen. In der Schule muss auch der Raum für den Austausch subjektiver Vorstellungen vorhanden sein, SchülerInnen müssen die Erfahrung machen können, dass auch die eher diffusen Ebenen von Ahnungen und Glauben nicht ausgeblendet werden in der Schule. Außerhalb der Schule warten ansonsten zweifelhafte Sinnanbieter auf sie.

* Um subjektive Sichtweisen erfahrbar zu machen, müssen authentische VertreterInnen der Weltanschauungen am Unterricht beteiligt werden. Das bedeutet mehr als nur ein kurzer Ausflug in die evangelische Kirche oder die Moschee. Ein Konzept für einen derartigen Unterricht kann nur unter Beteiligung aller Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften erstellt werden.

* Dieser Unterricht wäre ein nicht benotetes Pflichtfach.

Voraussetzung dafür ist, dass die evangelische und die katholische Kirche bereit sind, ihre bisherige Rolle neu zu überdenken und sich teilweise auch einzuschränken. Notwendig ist aber auch eine breite Debatte über die im Grundgesetz festgeschriebene Rechte der Kirchen in einer multikulturellen Gesellschaft. Der Artikel erschien zuerst in der Berliner Lehrerzeitung.