„Wir müssen sie jagen, bekämpfen, unterwerfen“

Einen Acehkonflikt gab es in Indonesien schon einmal: während der Kolonialzeit. Die Armee Niederländisch-Indiens hatte Ende des 19. Jahrhunderts vergebens versucht, die rebellische Region im Norden Sumatras zu befrieden. Dann forderte der Islamgelehrte Snouck Hurgronje den niederländischen Gouverneur in Batavia auf, den Widerstand in Aceh rücksichtslos zu brechen ... Von Henk Raijer

Was immer unsere Regierung in der Vergangenheit versäumt haben mag, so wie die Dinge jetzt stehen, erlangen wir in Aceh dauerhaften Einfluss nur, wenn wir endlich durchgreifen. Herrschaft können wir nur dort ausüben, wo sich die Acehnesen unserer Übermacht beugen. Nur wenn wir ihre Unterwerfung erzwingen, werden wir uns in Aceh halten.“ Markige Worte eines javanischen Militärs, der das Unabhängigkeitsstreben der Acehnesen am liebsten weiterhin mit Waffengewalt beantworten würde? Radikale Töne eines indonesischen Nationalisten, der aus Sorge um die Einheit seines Landes gegen eine Volksabstimmung Front macht? Nein, wir schreiben das Jahr 1896, Jakarta heißt noch Batavia, und der Verfasser dieser Zeilen ist Professor Christiaan Snouck Hurgronje.

Von April 1891 bis Februar 1892 hat der Islamkenner Sprache, Sitten und Bräuche der Acehnesen studiert, ihr Feudalsystem erforscht und den Einfluss des Islam auf das Leben der „Unruheregion“ analysiert – im Auftrag der niederländischen Kolonialregierung. Die wissenschaftliche Strategie konnte zum Zuge kommen, weil die militärischen Versuche, Aceh zu kolonisieren, über zwei Jahrzehnte lang fehlgeschlagen waren.

Zwar hält die Kolonialarmee Niederländisch-Indiens seit ihrer ersten „Expedition“ im Jahre 1873 Kota Radja, die Hauptstadt des ehemals freien Sultanats, besetzt. Die Unterwerfung ganz Acehs jedoch will nicht gelingen – zu zäh ist die Gegenwehr lokaler Oberhäupter im Hinterland, die von einer „Pax Neerlandica“ nichts wissen wollen.

Ganz unter dem Eindruck des Acehkrieges (1873-1914) geschrieben, erlaubt Snouck Hurgronjes Buch „De Atjèhers“ – dem auch die historischen Aufnahmen auf dieser Seite entnommen sind – präzise Einblicke in die Gesellschaft Acehs. Die Aufsätze in seinen „Verspreide Geschriften“ enthalten darüber hinaus Ratschläge, wie Batavia den Guerillakrieg gegen ein Volk von „nicht mal einer halben Million primitiver Menschen“ beenden könnte.

Der Widerstand der Acehnesen ist, so analysiert Snouck Hurgronje, in dem seit Mitte des 19. Jahrhunderts erstarkten moslemischen Purismus begründet. Neben dem niederen Adel seien es in erster Linie die fanatischen Religionsführer, die, indem sie den „heiligen Krieg“ verkünden, das gemeine Volk für ihre Interessen ausnutzten. Sie gelte es, von den vom Volk anerkannten Herren Acehs fernzuhalten.

Seit der Zerschlagung des freien Sultanats Kota Radja (heute Banda Aceh) im Jahre 1873 hat sich die Kolonialarmee damit begnügt, ein paar Hafenstützpunkte besetzt zu halten, um von dort aus mit möglichst geringem personellen und finanziellen Aufwand Feldzüge ins Umland zu unternehmen. Immer öfter überlässt der Generalstab seinen einheimischen „Sympathisanten“ die Kriegsarbeit, die sich ihre „Freundschaft gut bezahlen lassen“, dem Anliegen der „Kompanie“ aber gleichgültig gegenüberstünden. Der Wissenschaftler hält der Kolonialregierung vor, sie gehe bei der „Pacificatie“, der Befriedung des Hinterlandes, viel zu zaghaft vor. „Die müssen doch glauben, dass es nur weniger ihrer Jihadbanden bedarf dafür zu sorgen, dass unsere Sicherheit tagsüber nicht weiter reicht als der Radius unserer Geschütze und in der Nacht nicht weiter als die Mauern unserer Verstärkungen“, schreibt Snouck Hurgronje 1896 nach einem der zahllosen Acehdebakel.

Weiter analysiert der Islamforscher ganz im Sinne seiner Herren: „Dabei haben die Acehnesen die tatsächliche Schlagkraft unserer Armee noch gar nicht zu spüren bekommen. Sie meinen nicht zu Unrecht, wir seien nur zu kurzen Amokläufen imstande, stets gefolgt von Erschöpfung und Tatenlosigkeit. Sie wissen nur zu gut um unsere Schwächen und nutzen sie weidlich aus. Ich kann nur warnen: Igeln wir uns weiterhin freiwillig in unseren Hafenstützpunkten ein, so sieht der Gegner darin zwangsläufig einen Hinweis, dass wir aufgeben, und einen Beweis dafür, dass, nur wer sich beharrlich widersetzt, am Ende gewinnt.“ Eine solche Pleite können und wollen sich die vordem so mächtigen Niederlande in der Ära des imperialistischen Wettlaufs nicht leisten; auch Briten und Amerikaner hatten vor dem ersten Acehfeldzug von 1873 ein Auge auf die rohstoffreiche Region an der Straße von Malakka geworfen. Hollands Herrschaft im Norden Sumatras muss also gefestigt werden. Und dafür gibt es handfeste Gründe.

Schon seit einiger Zeit lässt sich niederländisches Kapital, das durch Handel, Sklavenarbeit und agrarische Zwangskultivierung in den Kolonien erwirtschaftet wurde, im eigenen Land nicht mehr Gewinn bringend anlegen. Kaffee, Kautschuk, Tabak, Zinn und Erdöl verheißen fabelhafte Profite. Der Boden Sumatras ist billig zu haben, importierte Arbeitskräfte aus Java kosten nichts. Die Holländer, seit ihrer Ankunft im Archipel 1596 stets darauf bedacht, auf den von Java weit entfernten Inseln nur formale Präsenz zu zeigen, stehen vor der Wahl: Preisgabe oder Inbesitznahme.

Nach etwa zwanzigjährigem Stellungskrieg gibt es im Falle Acehs nur eine Option: gewaltsame Niederschlagung. Snouck Hurgronje, seit 1889 als Berater für islamische Angelegenheiten beim Generalgouvernement in Batavia tätig, moniert die halbherzige Aufstandsbekämpfung in Aceh. „Sie kostet uns Geld und Menschenleben, ohne dass wir unsere Autorität in Aceh festigen. Schluss mit diesem Pfusch“, wettert der Gelehrte und schlägt eine bessere Strategie vor: „Die Verstärkungen in den Häfen Acehs können nur noch Brückenköpfe sein. Mobile Kolonnen müssen in ganz Aceh patrouillieren und alle verfolgen, die ein Interesse an der Fortdauer des Krieges haben. Wir müssen sie jagen, bekämpfen und unterwerfen.“

Die Appelle des militanten Wissenschaftlers finden Gehör. Unter dem Kommando von Major Jacobus van Heutsz – der anschließend als Generalgouverneur von 1901 an das gesamte indonesische Archipel, von Sumatra über Celebes bis Neuguinea, holländischem wie ausländischem Kapital zugänglich machen darf – wird Aceh ab 1896 systematisch „befriedet“. 1904 sind weite Teile Nordwestsumatras unterworfen.

Bevor Major van Heutsz losschlägt, gibt Snouck Hurgronje zu bedenken: „Das Misstrauen der Acehnesen uns gegenüber lässt sich nicht auf einen Schlag durch die Annahme einer gesunden Politik überwinden. Wir sollten uns von unserem neuen Weg nicht abbringen lassen. Man verzichte also in Zukunft darauf, bei jeder Niederlage, die wir erleiden, schadenfroh auszurufen: Seht, das habt ihr nun von eurer konsequenten Politik. Es muss in Aceh erst eine weitere Generation unter dem neuen Regime heranwachsen, bevor die Lage als stabil gelten kann.“

Stabil wird die Lage in Aceh nie, auch nicht, nachdem sich im Jahre 1914 die letzten Widerstandskämpfer ergeben haben und der Krieg, der auf Seiten der Acehnesen hunderttausend, auf Seiten der Holländer zwölftausend Menschen das Leben gekostet hat, als beendet gilt. Bis zur Unabhängigkeit Indonesiens von den Niederlanden dreißig Jahre später herrscht in Aceh das Kriegsrecht.

Henk Raijer, 46, taz-Tagesthemenredakteur, Niederländer, lebt in Warschau und Berlin. Anfang November schrieb er über Landgewinnung vor Amsterdam