Militant ohne Lederjacke

■ Immer erfolgreicher im Spektrum der superlinken Weltanschauungen sind die "Tierrechtler". Ihr Anliegen ist das tierische Individuum. Unserer Reporterin gelang es, eines dieser scheuen Wesen vors Mikrophon zu...

Tags arbeitet er als braver Kaufmann, nachts wird er militant. Jürgen (28) ist Tierrechtler. Er kämpft für die „völlige Befreiung“ aller Tiere und will die Herrschaft des Menschen über die Kreatur brechen.

taz: Du bestellst mich nachts auf einen Parkplatz an der Autobahn, bist von Kopf bis Fuß vermummt, unser Gespräch darf nicht aufgezeichnet werden — was soll das konspirative Getue?

Jürgen: Reiner Selbstschutz. Unsere Aktionen sind nicht legal. Weder meine Freunde noch meine Verwandten wissen, was ich so treibe. Nur meine Freundin ist eingeweiht.

Was treibst du?

Ich habe Tiere befreit, sie bei Versuchstierhändlern rausgeholt, Hochsitze umgesägt.

Und was treibt dich?

Unbändiger Haß und Wut auf die Menschen, die Tieren solche Grausamkeiten antun können.

Du liebst Tiere?

Ich liebe Tiere, will sie aber nicht besitzen.

Wie bist du zu dieser „selbstlosen Liebe“ gekommen?

Über Bilder von der gequälten Kreatur. Zuerst war ich Tierschützer. Das war aber unbefriedigend, nicht konsequent genug. Ich wurde Vegetarier, weil ich beim Fleisch auf dem Teller immer das Tier gesehen hab. Dann hab ich Leute getroffen, die in ihrem Engagement weiter gingen. Seit drei Jahren beteilige ich mich an Aktionen, um konkret etwas für Tiere zu tun. Man muß den Tierquälern zeigen, daß sie Gegner haben.

Wo ist für dich die Grenze?

Es darf kein Mensch und kein Tier körperlich zu Schaden kommen. Englische Tierrechtler gehen so weit, daß sie Briefbomben verschicken. Das kommt für mich nicht in Frage. Ich würde nur in Notwehr auf einen Jäger losgehen. Da säg' ich lieber seinen Hochsitz um, das ist viel effektiver.

Auch dadurch können Menschen bös verletzt werden.

Autonome Tierrechtler zerstören Hochsitze komplett. Angesägte Beine und Leitern gibt es bei uns nicht. Uns ist immer wieder unterstellt worden, wir wären für Unfälle verantwortlich, aber nie wurde es bewiesen. Wir wollen nur finanziellen Schaden anrichten.

Was unterscheidet einen Tierrechtler denn von einem Tierschützer?

Tierschützer und deren Vereine verwalten Tiere. Ihr Engagement hört dort auf, wo es sie selbst betrifft — also bei Nahrung und Kleidung geht.

Wie stellst du dir die „völlige Befreiung“ aller Tiere vor?

Tiere, die bisher nur ein von Menschen abhängiges Leben kennengelernt haben, kann man nicht ohne weiteres befreien. Aber niemand darf sie weiter für diese Abhängigkeit züchten. Uns geht es um das Recht der Tiere auf ein selbständiges Leben. Wenn wir Hunde und Katzen leben lassen wie sie sind, dann ist das Natur. Wenn ein Tier im Wald verendet oder gerissen wird, ist es auch Natur. Aber wenn ein Jäger es abschießt, ist er ein Mörder.

Mörder? Wie nennst du jemanden, der einen Menschen umbringt?

Für mich ist es kein Unterschied, ob ein Mensch oder Tier abgeknallt wird. Nur daß das eine bestraft wird und das andere nicht. Bei Massentierhaltung werden Tiere gezüchtet, um gekillt zu werden. Das ist eiskalter Mord. Ein Tiermörder müßte eine vergleichbare Strafe bekommen wie ein Menschenmörder.

Was machst du mit einer Mücke auf deinem Arm?

Ich puste sie weg, aber nicht grob.

Willst du einen Menschen wegen einer toten Mücke für 20 Jahre in den Knast schicken?

Ich würde schon einen Unterschied machen, ob jemand ein Kind zerstückelt oder einer Fliege die Beine ausreißt. Aber moralisch gesehen ist für mich beides Mord; Hühner-KZ ist sogar Massenmord.

Deine angeblich radikale Lebensethik ist menschenverachtend. Du verhöhnst die Opfer, wenn du Begriffe wie „KZ“ einfach auf Tiere überträgst.

Ich will die Opfer des Faschismus nicht verhöhnen. Ich verstehe mich als Linker und kämpfe gegen Faschos. Die Ideologie, die hinter dem Holocaust stand, ist nicht mir der Profitgier der Tierschlächter zu vergleichen. Trotzdem ist für mich das Schicksal von Hühnern auch eine tausendfache, geplante Vernichtung von Leben wie in den KZs.

Nur wenn du Mensch und Tier gleichsetzt.

Ich stelle sie auf eine Stufe.

Weil beide vernunftbegabte Wesen sind?

Weil beide Gefühle haben, Schmerzen empfinden. Wir kämpfen für die Freiheit von Mensch und Tier. Ich bevorzuge oder benachteilige niemanden. Doch Tiere können nicht für sich kämpfen und sich wehren.

Auch gegen euch nicht.

Wir wollen ihnen die Möglichkeit zu einem selbständigen Leben geben. Ihnen keine Grenzen setzen, höchstens um sie zu schützen.

Menschen müssen vor Tieren nicht geschützt werden?

Bösartige Tiere sind nur vom Menschen versaut. Ein Hund braucht auch seine Freiheit.

Weil er ein Bewußtsein von Freiheit hat?

Ein anderes als wir, aber auch eines.

Also keinen Unterschied?

Wir brauchen schon ein bißchen mehr als ein Hund. Der hat einen anderen Begriff von lebenswertem Leben und ist mit Fressen, Schlafen, Auslauf und Zuwendung zufrieden.

Ihr verlangt Grundrechte für Tiere.

Sicher. Auch wenn die Durchsetzungschancen gleich Null sind.

Lebst du vegan?

Nicht hundertprozentig. Ich kaufe keine Eier und keine Milch. Das ist Tierausbeutung. Manchmal esse ich Käse. Das ist zwar nicht ganz konsequent, aber es nützt nichts, sich zu zwingen.

Woraus sind deine Schuhe?

Aus Stoff und Gummi. Ich trage kein Leder. Auch keine Wolle oder Seide. Für mein Bett hab' ich mir jetzt eine Decke ohne Wolle und Federn gekauft.

Wenn jeder nur noch Baumwolle tragen würde, käme es zu einer ökologische Katastrophe.

Tiere sind wichtiger als sogenannte Ökologie. Ökologie wird doch letztlich zum Wohle des Menschen betrieben.

Vorhin hast du gesagt, du bist ein Linker ...

Ich war bei einer Antifa- Gruppe ...

Und kämpfst jetzt statt gegen Kapitalismus und Rassismus gegen Fleischverzehr.

Das eine schließt das andere nicht aus. Ich will, daß weder Menschen noch Tiere ausgebeutet werden.

Die Ansicht eines satten Wohlstandsbürgers.

Viele Tierrechtler kommen aus unterprivilegierten Verhältnissen. Du wirst in der Szene keinen reichen Wohlstandsbürger finden. Und was die dritte Welt angeht – bevor Leute verhungern, dürfen sie Tiere essen. Doch bei uns gibt es Alternativen.

Bist du ein Fanatiker?

Ich will etwas tun, um etwas Schreckliches aufzuhalten.

Was passiert mit Tieren, die ihr halbtot aus Labors rausholt?

Wenn sie zu schwach sind, muß ein Tierarzt sie erlösen.

Steckt hinter eurem nächtlichen Guerillaspiel nicht pubertäres Männlichkeitsgehabe?

Erstens sind unter uns fast so viele Frauen wie Männer; zweitens ist das bitterer Ernst und kein Spiel. Ich würde nachts auch lieber in der Kneipe sitzen oder mit meiner Freundin im Bett liegen, statt mit 'ner Säge loszuziehen und durch den Schlamm zu waten.

Aber du ziehst die Tiere deiner Freundin vor.

Meine Freundin ist mir wichtiger als das Reh im Wald, weil mir das nicht so nahe ist. Aber meine Katze ist mir genauso nah und genauso wichtig wie meine Freundin.

Ist das deine Vorstellung vom Paradies?

Es wär' schon viel erreicht, wenn die Leute nachdenken über das, was sie mit Tieren machen. Aber ich kann mir ja noch nicht einmal vorstellen, daß eine ganze Stadt vegetarisch leben würde.