Fleischverzehr ist keine religiöse Handlung

■ Bundesverwaltungsgericht untersagt rituelle Schächtung / Religionsfreiheit nicht verletzt, weil Schlachten ohne Betäubung im Koran nicht zwingend vorgeschrieben

Berlin (taz) – Das rituelle Schlachten von Tieren ohne Betäubung bleibt den Muslimen in Deutschland weiterhin untersagt. Diesen Spruch fällte gestern das Bundesverwaltungsgericht in Berlin in einem Grundsatzurteil. In der Begründung des Urteils heißt es, daß durch das Verbot des sogenannten Schächtens die Religionsfreiheit der Muslime nicht verletzt werde.

Vor dem obersten Verwaltungsgericht landete der Fall, nachdem das Oberverwaltungsgericht in Hamburg in einem Revisionsverfahren Ende 1992 gleichermaßen entschieden hatte. Mit dem Spruch will sich der Kläger, die türkische Firma Hicret Kantini, nicht abfinden. Ihr Anwalt Falk Vogler sagte am Rande der Verhandlung zur taz, daß er jetzt vor das Bundesverfassungsgericht in Karsruhe ziehen werde. Das Urteil „widerspreche sehr wohl dem im Grundgesetz verbrieften Recht auf Religionsfreiheit“. Die Richter „begreifen den Verzehr von Fleisch nur als Nahrungsaufnahme, nicht aber wie die Moslems als religöse Handlung“.

Das gestern gefällte Urteil wurde mit Spannung von muslimischen Gläubigen wie auch von Tierschützern verfolgt. Die unterschiedlichen Interessen liegen dabei auf der Hand. Während die Tierschützer Plakate wie „Schächten ist Tierquälerei“ in die Höhe hielten und der Vorsitzende Richter sie dafür aus dem Raum wies, argumentierten die Vertreter der Muslime anders herum. Das Schächten, das heißt der schnelle Schnitt durch Hauptschlagader und Luftröhre, betäube die Tiere augenblicklich. Es sei eine humanere Art des Tötens als der normale Bolzenschuß vor die Stirn der Tiere oder die vorherige Betäubung durch einen Stromstoß. Wie Vertreter muslimischer Organisationen in Berlin der taz erklärten, würden über die Hälfte aller Lämmer derzeit schwarzgeschlachtet, weil die deutschen Gerichte die deutsche Art des Tötens vorschreiben. Unterbunden werden könnte dies nur, wenn eine rituelle Schlachtung auch in normalen Schlachthäusern möglich würde.

Eine Ausnahmegenehmigung, das heißt Töten ohne vorherige Betäubung, haben bis jetzt nur die orthodoxen Juden in Hamburg und in Berlin erhalten. In beiden Städten werden wöchentlich etwa vier bis acht Tiere von einem Synagogenbeamten und im Zentralen Schlachthof geschächtet.

Die orthodoxen Muslime in Hamburg haben diese Ausnahmegenehmigung, wie jetzt vom Bundesverwaltungsgericht erneut bestätigt wurde, nicht erhalten, weil sie nicht nachweisen können, daß die rituelle Schächtung ohne Betäubung im Koran „zwingend“ vorgeschrieben ist.

Die Gerichte berufen sich dabei auf ein Gutachten der islamischen Universität von Kairo sowie auf Stellungnahmen des Religiösen Rats in Ankara. Beide beinhalten, daß eine Betäubung durch Stromstöße vor der Ausblutung mit dem Koran sehr wohl vereinbar sei. Diese Gutachten wiederum akzeptieren weder die Hamburger Orthodoxen noch die Vertreter anderer türkischer Organisationen, weil der Islam keine Religion mit festgefügten organisatorischen Strukturen ist. Maßgeblich könne nur sein, meinte Anwalt Falk Vogler, „was die hier lebenden Türken glauben“. Das Gericht könne sich nicht zur obersten Religionsinstanz aufschwingen. Anita Kugler