Heckelmann verzögert den Shell-Boykott

■ Senatoren und Polizisten vertanken täglich 100.000 Mark – auch bei Shell / Bezirke wollen Boykott, Heckelmann „prüft“

In Leipzig rollt derzeit so gut wie kein Dienstwagen mehr an eine Zapfsäule von Shell. Weil der Ölmulti seine Plattform „Brent Star“ 240 Kilometer westlich von Schottland im Atlantik versenken will, hat Leipzigs Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD) zum „Muschel-Boykott“ aufgerufen. In Berlin vertanken Polizei, Feuerwehr, Bezirksverwaltungen und Senatoren jährlich 34 Millionen Mark – Tag für Tag 100.000 Mark. Schätzungsweise ein Fünftel der Menge Diesel, Normalbenzin und Super fließt aus Zapfsäulen des britischen Konzerns. Während Stadträte aller Parteien zum Boykott aufrufen, zögert Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) mit dem Shell- Verbot.

Statt zu handeln, beauftragte die Innenverwaltung gestern die Umweltverwaltung mit einer Expertise. Umweltsenator Volker Hassemer (CDU) soll darin die Gefahr abschätzen, die von dem Versenken der Ölplattform ausgeht. „Wenn wir zu einem Boykott aufrufen“, sagte ein Sprecher der Innenverwaltung, müsse die Begründung hieb- und stichfest sein. Wenn allerdings ein Beamter seinen Polizeiwagen nicht mehr bei Shell vollaufen läßt, werde „ihm sicher niemand etwas tun“.

Die 299 Motorräder, 1.186 Autos, 1.132 Lastwagen, 482 Sonderfahrzeuge und 31 Boote der Polizei verbrauchen jährlich Sprit und Öl im Wert von acht Millionen Mark. Der Treibstoff für Feuerwehrfahrzeuge kostet 1,6 Millionen Mark, und der aus 141 Wagen bestehende Fuhrpark der Senatsverwaltungen schluckt knapp eine Million Mark. Wie der Sprecher mitteilte, habe Berlin mit vier bis fünf Tankstellenketten Lieferverträge – einer davon ist Shell. Die Bezirke vertanken jährlich mehr als 2,2 Millionen Mark. Vier Fünftel verbrauchen die Fahrzeuge der Natur- und Grünflächenämter, ein Fünftel Autos der Verwaltungen.

Im Gegensatz zur Hauptverwaltung zeigten die Bezirke gestern Entschlossenheit – über die Parteigrenzen hinweg. Zehlendorfs Baustadtrat Klaus Eichstädt (CDU) meinte, die öffentliche Hand „muß reagieren“. Es wolle einem als normaler Bürger einfach nicht in den Kopf, daß Shell seine Plattform einfach im Meer versenkt. Selbst wenn diese Form der Entsorgung billiger sein sollte, dürfe dieser Gesichtspunkt keine Rolle spielen. „Wenn Ökologie kein Geld kosten darf, dann schützt sowieso kaum jemand die Umwelt“, sagte Eichstädt. Soweit er weiß, tankten die Fahrzeuge des Zehlendorfer Natur- und Grünflächenamtes nicht bei Shell.

Charlottenburgs Baustadtrat Claus Dyckhoff (SPD) will seine Mitarbeiter zum Boykott aufrufen, wenn die Fahrzeuge des Bezirks bei Shell tanken. Er läßt derzeit prüfen, wo der Sprit herkommt. Kreuzbergs Baustadträtin Erika Romberg (Bündnisgrüne) sagte: „Wir tanken nicht bei Shell.“ Einen Boykott der Bezirke und des Landes fand sie in jedem Fall richtig. Schließlich kippe der Ölmulti seinen Müll ins Meer, damit die öffentliche Hand „die Sauerei“ bezahle. Kommunal- und Landespolitiker müßten deshalb sagen: „Nicht mit uns!“ Dirk Wildt