Es kitzelt in den Ohren

■  Seltsame Produktzeichnungen von Fabrice Hybert in der Galerie Eigen + Art

www.inconnue.com steht für eine Homepage, die sich nicht öffnen lässt. Neben dem in der Galerie Eigen + Art ausgestellten Schriftzug entrollen sich wuselnde -Zeichen, um als grinsende Spermien über das Blatt zu kriechen. Ein Schwangerenbauch einige Zeichnungen weiter verursacht schließlich ein leichtes Schaudern bei der Vorstellung, was sich so befruchtet aus diesem Bauch herausquälen könnte.

Solche Verbindungen zwischen den einzelnen Blättern aus Fabrice Hyberts Serie „Mind Map“, die mit schlichten Reißbrettstiften an die Galeriewände geheftet ist, ergeben sich allerdings erst nach längerer Betrachtung. Die überwiegend isolierten Motive, die Buchstabenketten, Wörter und Satzfragmente auf den rohen Zeichnungen Hyberts, der für die Gestaltung des Französischen Pavillons auf der Biennale in Venedig 1997 den Goldenen Löwen erhielt, sind miteinander durch sich stetig verändernde Grundformen verkoppelt. Die Übergänge und Verwandlungen sind offensichtlich, gegen jeden Stillstand wird heftig protestiert. Gegen eine zu leichte Lesbarkeit auch.

Einen Zugang zu diesem Netz aus Zeichnungen findet man gerade, indem man auf bewährte Suchmaschinen verzichtet – deren Mechanismus versagt bei www.inconnue.com ja ohnehin. Vielmehr lässt Hybert die viel gepriesenen Verknüpfungsmöglichkeiten des Internets ins Leere laufen. Und um dem World Wide Web nochmals seine Unterlegenheit zu demonstrieren, dienen die Zeichnungen als Grundlage für eine Weiterführung der sich umformenden Muster: Aus den Vorlagen der Blätter und ihrer kurzen Texte erarbeitet Fabrice Hybert seine P.O.F., Prototypen von Objekten in Funktion.

Völlig krude und teilweise hinreißend durchgeknallt treten die P.O.F., deren Bezeichnung klingt, wie sie aussehen, in Erscheinung. So gibt es einen Kopfhörer, an dessen Innenseite Wattestäbchen zur Ohrreinigung befestigt sind, die sich durch an der Außenseite angebrachte Propellerflügel drehen – vorausgesetzt, man platziert sich vor einem Ventilator. Zuerst kitzelt die amüsante Maschine fürchterlich. Anschließend jedoch bringt einen die unbekannte Körpererfahrung dazu, den Zweck und die Bestimmung von Gegenständen serieller Produktion in ihrem Nutzen für den Verbraucher zu überdenken.

Obwohl es dem Benutzer überlassen bleibt, die von Hybert hergestellten Prototypen nach Belieben umzugestalten, fügt er jedem dieser niedlich-befremdlichen Objekte eine Bedienungsanleitung hinzu, die gemeinsam mit den Geräten im Schaufenster des Institut Français zu sehen ist. Durch diese Art der Präsentation entsteht ein aufdringlich kommerzieller Charakter, der in Hyberts 1994 gegründeten Firma UR – Unlimited Responsibility noch kultiviert wird. Sowohl Privatleute als auch Politiker beteiligen sich an dem Firmenanliegen zur Vervielfältigung der in ihren Einzelteilen völlig harmlosen Werke. Zur seriellen Produktion der P.O.F.-Prototypen konzipiert, führt der Betrieb den in den Zeichnungen angelegten Gedanken der Formenveränderung, Vernetzung und der Ausdehnung des Zugangs weiter.

So wanken und kippen nicht nur die Aussage und Bedeutung der Objekte ständig, sondern das ohnehin bereits gestürzte Traumbild des antikommerziellen Künstlers wird nochmals aufgeweicht: Hyberts P.O.F. sollen in Serie hergestellt werden, sie sind dazu gedacht, in großer Auflage vertrieben zu werden, um den Künstler auch in Zukunft zu finanzieren. Die auf Profit bedachte Seite des Kunstschaffens wird als grundlegender Bestandteil in die Arbeit integriert, offen gelegt und damit nahezu salonfähig. Der Künstler bietet sich für Geld an, doch prostituiert er sich nicht. Er vollzieht nur einen ständigen Prozess der Wandlung, der Verknüpfung und Vernetzung, ein Eindringen in entferntere Bereiche, ohne sein Prinzip zu schänden. Und unter www.inconnue.com findet sich noch immer keine Homepage. Sandra Frimmel

„Mind Map“. Bis 15. 1. Di. – Fr. 14 – 19, Sa. 11 – 17 Uhr, Galerie Eigen + Art, Auguststrasse 26. „P.O.F.“. Bis Mitte Januar, Institut Français, Ku'damm 211.