Kommentar
: Salonfähig

■ PDS profitiert von Einbindung

Was war das für ein Aufschrei 1994, als sich Reinhard Höppner (SPD) in Sachsen-Anhalt die PDS praktisch ins Regierungsboot holte, indem er sich für eine von ihr tolerierte Minderheitsregierung entschied. Die Demokratie schien auf des Messers Schneide zu stehen. Wer zu „so was“ fähig ist, hieß es, schreckt auch in Bonn vor nichts zurück.

Kühl konterte Sachsen-Anhalts designierter Ministerpräsident: Seine Devise, mit der er um Vertrauen warb: „Entzauberung der PDS durch ihre Einbindung“. Stellt sich die Frage: Ist die Entzauberung gelungen? Kann Höppners Ansatz in anderen Bundesländern den PDS-Gegnern als Modell dienen?

Die Antwort lautet „Nein“. Die PDS ist heute in Sachsen-Anhalt so attraktiv wie nie zuvor. Höppner ebnete mit seinem Tolerierungsmodell den bis dato bundesweit gebrandmarkten und ausgegrenzten SED-Nachfolgern den Weg zur parlamentarischen Normalität.

Heutzutage ist undenkbar, dass ein PDS-Bundestagsabgeordneter derart vom Auditorium zusammengepöbelt wird, dass er sich aus Gram das Leben nimmt, wie es Professor Gerhard Riege tat. Er habe Angst vor dem „Hass“, der ihm „im Bundestag entgegenschlägt“, schrieb Riege in seinem Abschiedsbrief.

Auch an Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) ist die gestiegene Akzeptanz der PDS abzulesen. Anfangs verließ er immer dann das Plenarsaal des sächsischen Parlaments, wenn sich ein PDS-Abgeordneter zu Wort meldete. Heute hört Biedenkopf zu.

Die PDS ist salonfähig geworden. Nicht nur wegen der weiteren Wahlerfolge, sondern auch weil sie inzwischen in Ländern wie Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern politischen Einfluss hat.

Unfreiwillig verantwortlich für die gestiegene Attraktivität der PDS sind auch die Konservativen. Das Märchen vom „Schreckgespenst der PDS“ taugte im Osten wunderbar zum Stimmenfang. Höppners Kurs und Gysis eloquente Fernsehauftritte ließen die Unterstellungen der CDU allzu absurd erscheinen.

Nicht dass die Politik der anhaltinischen Tolerierungspartner sonderlich erfolgreich war. Immer noch ist Sachsen-Anhalts Arbeitslosenquote die höchste in Deutschland, die Pro-Kopf-Verschuldung rekordverdächtig. Es war vielmehr das Ausbleiben des erwarteten Untergangs der Demokratie, den die Konservativen vorausgesagt hatten. In Sachsen-Anhalt gab es nicht nur keine Skandale, das Modell wurde sogar nach vier Jahren neu aufgelegt. So schlimm kann es also wohl nicht gewesen sein, denken die Wähler.

Anfangs des Tolerierungsmodells gelang es der PDS, einerseits Regierungsarbeit mitzubestimmen, andererseits alle unpopulären Entscheidungen der SPD anzulasten. Höppner lernte, den Spieß umzudrehen: Er stellte die PDS immer wieder als Verhinderer da und brachte sie so in Zugzwang, konstruktiv mitzuarbeiten. Heute gibt es „Tolerierungsausschüsse“, in der der die Partner ihre Politik gemeinsam abstimmen. Das nutzt auch der PDS. Sie kann sich nun mit einigem Recht als pragmatische, zum Wohle des Landes agierende Partei präsentieren.

Die Sozialisten werden von immer mehr Menschen als das empfunden, was Tante SPD vor zwanzig Jahren war – die Partei sozialer Gerechtigkeit. Wollten sie anfangs noch für einen neuen Sozialismus auf deutschem Boden streiten, geht es heute um „verwaltungskonformes Umsetzen unserer Ziele“, wie es jüngst der stellvertretende Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter (PDS), formulierte.

Die PDS ist jetzt eben an der Regierung. Da kann sie sich revolutionäre Ideen nicht mehr erlauben. Statt über die Vergesellschaftung von Produktionsmittel streitet sie nun über mehr Wirtschaftskompetenz. Und das schafft Vertrauen. Nick Reimer