Mythos „Medienkanzler“

Eine vergleichende Studie untersucht das Verhältnis der Presse zu Gerhard Schröder   ■  Von Gregor Haake und Sebastian Pfotenhauer

Gerhard Schröder hat die Zeichen der Zeit erkannt und gelernt, behende auf der Klaviatur der Kommunikation zu spielen – so setzte es sich in den Köpfen fest, das Bild vom Schröder als Medienkanzler. Spätestens, als er in edlem Zwirn von Hochglanzfotos machtmenschelte und nach seinem „Wetten Dass ...?“-Auftritt eine ältere Dame nach Hause chauffierte, konsolidierte sich die Legende vom Regierungschef als Liebling der Medien: Der Mann ist kein Spielverderber, er mag die Presse und die Presse mag ihn.

Die These vom gegenseitigen Wohlwollen stand nun im Mittelpunkt einer Studie über die Berichterstattung dreier großer deutscher Tageszeitungen: Frankfurter Rundschau, Bild-Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung wurden von Studenten der Freien Universität Berlin unter die Lupe genommen, wobei die umfassende Analyse von Tendenz und Präsentation der Texte Rückschlüsse auf die inhaltliche Ausrichtung der untersuchten Medien erlaubte. Der empirische Vergleich der Politik- und Sozialwissenschaftler orientierte sich daher an vier markanten Ereignissen – von der Bundestagswahl 1998 und den Koalitionsverhandlungen Mitte Oktober, über den Rücktritt Oskar Lafontaines im März 1999 bis zur Verkündung des Sparpaketes durch Hans Eichel – und zeigt, mit welchen unterschiedlichen Rezeptionsmustern die Politik des Kanzlers beurteilt wurde.

Mit durchweg kritischem Blick verfolgte Bild jeden Schritt der rot-grünen Regierungskoalition. Die FAZ hingegen vollzog den Schwenk von einer abwartend ablehnenden Position zu einer fast anerkennend lobenden Haltung gegenüber Schröders Mannschaft. Ein fast umgekehrtes Ergebnis ergab sich bei der Frankfurter Rundschau. Hier eskortierten die Journalisten lange Zeit SPD und Bündnis 90/Die Grünen, bevor sich die Wege trennten.

Zunächst noch von Schröder begeistert, schrieben die FR-Redakteure den politischen Wechsel zur Bundestagswahl förmlich herbei. Gesänge wie „Schröder ist Kanzler, und die neue Zukunft kann beginnen“ oder „der Start ist gelungen“ demonstrierten das ganze Ausmaß der Zuversicht in die neue Regierung. Die Koalitionsverhandlungen im Oktober 1998 empfand die FR noch als zielsicher. Am „Fall Lafontaine“ aber zeigte sich, wie schnell die Tendenz einer Berichterstattung sich ändern kann: Die Beziehung zwischen Schröder und seinem Finanzminister habe nicht gut gehen können, räsonierte die FR im März dieses Jahres. Die Stimmung war umgeschlagen, die Kritik an der SPD heftiger geworden: „Für Pleiten, Pech und Pannen haftet in Zukunft der Chef allein“. Spätestens Eichels Sparpaket mochten die Journalisten nun gar nichts mehr abgewinnen. So fand FR-Redakteur Jochen Siemens mahnende Worte zu den bisherigen Leistungen der Koalition: „Die Vokabel 'nachbessern‘ ist zum festen Bestandteil der Regierungsarbeit geworden. (...) Tragisch für das Land, das im September 1998 mit dem Votum für Rot-Grün glaubte, eine Reformpolitik gewählt zu haben.“

Die FAZ hingegen äußerte sich vor allem in den ersten Arbeitsmonaten der neuen Regierung sehr kritisch: Schon das Ergebnis der Bundestagswahlen löste Entsetzen aus; die Redaktion sah ein rot-grünes Chaos über Deutschland hereinbrechen. Keineswegs trauten sie SPD und Bündnisgrünen die Lösung drängender Probleme zu. Besonders deutlich trete die Inkompetenz des designierten Bundeskanzlers bei den Fragen zur Haushaltskonsolidierung und der Steuerrechtsreform zu Tage, hieß es bereits einen Tag nach der Wahl. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung forderte eine starke Kontrolle der Regierung durch die Opposition.

Auch mit den Koalitionsvereinbarungen im Oktober vergangenen Jahres konnte sich die FAZ nicht anfreunden. „Die Wähler bekommen das, was sie gewählt, wenn auch vielleicht nicht immer gewollt haben.“ Die Journalisten witterten eine Rückkehr in die „trügerische Sicherheit staatlicher Fürsorge und Steuerung“. Erst nach dem Rücktritt Lafontaines atmeten die Redakteure spürbar auf und hofften auf eine Wende in der Wirtschaftspolitik – eine im Vergleich mit ihrem bisherigen Kurs überraschende Erwartung, die anlässlich der Wahl Hans Eichels zum Finanzminister auch offen verkündet wurde.

Fortan sprachen die FAZ-Journalisten von „unpopulären, aber notwendigen Schritten Eichels“.

Die Bild-Zeitung hingegen wahrte in ihrer Berichterstattung eine deutliche Distanz zu Rot-Grün. Zwar ging Bild auf den Ausgang der Bundestagswahl noch relativ sachlich ein und nahm Schröders Sieg schlicht zur Kenntnis. Doch schon einen Tag später mokierte sie sich, dass die SPD ihre eigentliche Linie bis zur Selbstverleugung zurückgenommen habe, um an die Regierung zu kommen. Auch zu den Koalitionsverhandlungen machte sich die Bild ihre eigenen Gedanken: „Die Parteien und wir brauchen nicht weniger, sondern mehr erfolgreiche Experten in der Politik“, sonst gehe es mit „Mittelmaß ins Mittelmaß.“ Auf den Abgang Oskar Lafontaines reagierte die Redaktion mit einer Doppelstrategie: Einerseits attestierte das Blatt dem damaligen Finanzminister trotz seines unrühmlichen Verhaltens noch menschliche Größe, andererseits aber forderte Bild eine Erklärung für diesen Schritt. Zu einseitigen und gewohnt bissigen Tönen fand die Zeitung bei der Verkündung von Hans Eichels Sparpaket, das resolut als „Rasierliste“ bezeichnet wurde. Unpopuläre Entscheidungen seien populistisch aufbereitet worden, so die Studie. Dabei nahmen die Journalisten gezielt Einfluss auf ihre Leser, übten sich in tendenzieller Berichterstattung und fürchteten den Niedergang des Sozialstaates. Besonders auf die schmalen Geldbeutel der Rentner hätte die Koalition es nach Ansicht der Bild-Journalisten abgesehen.

Von einer innigen Freundschaft zwischen Gerhard Schröder und den Medien kann also keineswegs die Rede sein. Vielmehr zeigte der empirische Vergleich, dass Tageszeitungen ihre politischen Positionen relativ schnell ändern: Entspricht die Regierungsarbeit nicht mehr den Erwartungen der Medien, kann eine ehemals freundliche Gesinnung sich schnell ins Gegenteil verkehren. Kein Wunder, erwiesen sich die Zeitungen doch vor allem als Sprachrohre ihrer spezifischen „Klientel“: Die FAZ beurteilte die Politk aus dezidiert wirtschaftlicher Perspektive, Bild sprach aus, was das Volk dachte oder zumindest denken sollte. Und bei der FR gewannen bald jene kritischen Stimmen Oberhand, die eine Erosion alter sozialdemokratischer Tugenden zu beklagen hatten.

So erwies sich die Vermutung, Rot-Grün wäre anfangs nur mit Lob überschüttet worden, als ebenso haltlos wie der Glauben an ein bloßes Niederschreiben der Koalition. Statt dessen, so das Fazit der Studie, veränderten Medien fortwährend ihre Sicht auf Politik und damit auch auf Schröders Regierungsarbeit. Das Verhältnis zwischen dem SPD-Parteichef und den Medien steht also auf wesentlich wackeligeren Füßen, als sein Image als Strahlemann zunächst glauben machte. Nach dem gefeierten Wahlsieg wurde längst eingenommen, was die Tageszeitungen selbst „das politische Katerfrühstück“ nennen. Gerhard Schröders schlichter Vorteil, nicht Helmut Kohl zu sein, hat sich im täglichen Geschäft aufgebraucht: Seine professionelle Bereitschaft, kooperativer als sein Vorgänger mit den Medien umzugehen, hat sich nicht langfristig auf das Verhältnis zwischen Schröder und der Presse auswirken können. Nun, da die gegenseitige Begeisterung auf ein normales Maß zurechtgestutzt ist, muss der Kanzler um mediale Zustimmung buhlen wie jeder andere Politiker auch. Vielleicht sollte er mal wieder bei „Wetten dass ...?“ vorbeischauen. Und sein Kabinett gleich mitbringen.