Ein Sonnenkönig bittet zur Audienz

■ Claus Peymann setzte am Wochenende sein renoviertes Berliner Ensemble in Szene, und hunderte Berliner spielten gerne mit

Das Berliner Ensemble ist wieder da. Offiziell wird das traditionsreiche Theater am Schiffbauerdamm zwar erst am 8. Januar eröffnet, doch bereits gestern lud der neue Intendant zu einem ersten „Sonntagsspaziergang durchs BE“. Und tatsächlich: Die BerlinerInnen nahmen das Haus, das derzeit noch eine Baustelle ist, geradezu im Sturm – gerade so, als hätten sie die kulturelle Leerstelle im Herzen der Hauptstadt als schmerzhafte Wunde empfunden.

Ein Theater für alle hatte es in der Stadt, die so sehr in verschiedene Milieus zerfällt wie keine andere in Deutschland, bisher nicht gegeben. Jahrzehntelang siechte das BE dahin, auch das Dramatiker-Trio William Shakespeare, Bertolt Brecht und Heiner Müller konnte das Vakuum zuletzt nicht füllen. Jetzt hat das Theater nur noch einen Helden: Claus Peymann.

Fast den gesamten Kosmos der Theatergestirne, die schon in Stuttgart, Bochum und Wien um ihn kreisten, hat der Sonnenkönig jetzt an die Spree verpflanzt. Stücke von George Tabori, Franz Xaver Kroetz und – gleich im Doppelpack – Thomas Bernhard eröffnen im Januar Peymanns erste Spielzeit. Getreue Mimen wie Kirsten Dene oder Traugott Buhre waren schon gestern zu bestaunen, auch Autor Peter Turrini und Adlatus Hermann Beil mischten sich unter die Menge. Buhre durfte eine seiner Lieblingsrollen zum Besten geben und im Bernhard-Dramolett „Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese“ seinen Chef spielen.

Peymann selbst war damit beschäftigt, vor seiner provisorischen Intendantenbaracke aufgebrachte Abonnenten zu beschwichtigen. Weil gestern auch der Vorverkauf begann, hatten sie sich schon morgens um sieben auf die Lauer gelegt. Doch die Kassiererinnen ließen sie im Regen stehen und bearbeiteten lieber telefonische Kartenwünsche. „Schlimmer als die Wiener“, schimpfte Peymann über die aufgebrachte Menge. Er ließ zur Beruhigung Glühwein servieren und sicherte die Erfüllung aller Kartenwünsche zu: „Sie sind sozusagen absolute Spitze. Da kann ja nicht viel passieren bei 700 Plätzen.“

Mit kindlicher Freude und Nervosität zugleich eilte der Intendant von einer Ecke des Hauses in die andere, dirigierte die Menge nach Gutdünken hin und her. Trotz des Regens musste der Tag, das hatte sich Peymann nun mal in den Kopf gesetzt, draußen vor der Tür beginnen. Da konnte das Publikum noch so sehr murren, der Theatermann kannte kein Erbarmen: „Je schneller Sie hinausgehen, desto weniger nass werden Sie.“

Auch das eigene Haus hatte Peymann mit dem „Sonntagsspaziergang“ in helle Aufregung versetzt. „Gestern lag im Foyer noch nicht einmal der Teppich“, verriet eine der MitarbeiterInnen, die nicht weniger freudig erregt schienen als der Hausherr selbst. Und jedes Mal, wenn Peymann die Treppenroste zum Bürocontainer emporstieg, rieselte der Sand von den Schuhen des Idols auf die Wartenden in der Kassenschlange. Die Menge nahm es ergeben hin.

Ralph Bollmann