Putschversuch aus dem Präsidentenpalais

Der rumänische Staatschef feuert seinen Premierminister. Doch Radu Vasile verweigert den Rücktritt und will sich nur vom Parlament absetzen lassen. Kritiker sprechen von einem Verfassungsbruch ■ Aus Bukarest Keno Verseck

Rumänien erlebt derzeit die peinlichste Regierungskrise seiner postkommunistischen Geschichte: Staatspräsident Emil Constantinescu setzte gestern Morgen Ministerpräsident Radu Vasile ab. Der weigert sich, die Absetzung anzuerkennen und zurückzutreten, obwohl alle fünf Koalitionsparteien und sämtliche Minister ihm das Vertrauen entzogen haben.

Zum Interimsregierungschef ernannte der Staatspräsident den Arbeits- und Sozialminister Alexandru Atanasiu, der Chef der kleinen Sozialdemokratischen Partei ist.

Die putschartige Politkomödie findet nur wenige Tage nach der EU-Konferenz von Helsinki statt, auf der Rumänien zu Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union nominiert worden war.

Es war schon seit Wochen ein offenes Geheimnis, dass Staatspräsident Emil Constantinescu und ein Teil der christlich- liberal-sozialdemokratischen Koalition einen Rücktritt von Radu Vasile wünschen. Der seit April 1998 amtierende Regierungschef und seine Mannschaft haben die versprochenen Reformen in der Verwaltung, Gesetzgebung und Wirtschaft nur ansatzweise und äußerst schleppend durchgeführt.

Fast ohne Unterbrechung kam es unter Radu Vasile zu öffentlichen Koalitionsstreitigkeiten, die der Ministerpräsident nicht lösen konnte. Die Regierung war zudem in den letzten Monaten mit pausenlosen Streiks konfrontiert. Ihre ökonomischen Ziele – wie etwa einen Stopp des wirtschaftlichen Niedergangs in diesem Jahr oder eine Senkung der Inflationsrate – konnte die Regierung nicht erreichen. Als geeigneter Augenblick für den Rücktritt Radu Vasiles und eine Regierungsumbildung war ein Termin kurz nach der EU-Konferenz von Helsinki vorgesehen worden.

Am Wochenende machte Staatschef Emil Constantinescu seine Absicht noch einmal deutlich. In einer öffentlichen Ansprache, die der Nominierung Rumäniens zu den Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union gewidmet war, kritisierte er die schlechte und unkoordinierte Führung der Regierung.

Während Constantinescus Kritik auf breite Zustimmung stößt, halten Verfassungsexperten die Prozedur, mit der er Radu Vasile absetzte, für rechtswidrig. Die rumänische Verfassung sieht nur einen freiwilligen Rücktritt oder einen Rücktritt durch ein parlamentarisches Misstrauensvotum vor. Einer der Autoren der Verfassung von 1991, Antonie Iorgovan, sprach sogar von einem „Putsch“. Auch Radu Vasile sprach von einem „Komplott“ gegen seine Person und erklärte, er werde nur dann zurücktreten, wenn das Parlament ihm das Vertrauen entziehe.

Die Absetzung des Regierungschefs dürfte ein Versuch von Staatspräsident Constantinescu sein, sich im letzten Jahr vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gegenüber den schlechten Regierungsergebnissen der letzten drei Jahre zu profilieren und sein Ansehen aufzubessern. Emil Constantinescu hat in den letzten Monaten deutlich an Popularität verloren und liegt in Sympathieumfragen nur auf Platz drei hinter dem ehemaligen Staatspräsidenten und Ex-Kommunisten Ion Iliescu und dem ehemaligen Außenminister Teodor Melescanu, der im kommenden Herbst ebenfalls für das Amt des Staatschefs kandidieren will.

Unterdessen steht eine weitere Spaltung der christdemokratischen Bauernpartei bevor, der der ehemalige Regierungschef Radu Vasile angehört. Während ein Teil der Regionalverbände der Partei gegen die Absetzung des Regierungschefs protestierte, kritisierte die Parteiführung Radu Vasile seit Langem und versuchte seine Arbeit mit allen Mitteln zu untergraben. Oppositionspolitiker, so etwa der Ex-Staatschef Ion Iliescu, kritisierten die Absetzung Radu Vasiles als ein „erbärmliches Spektakel“ und forderten vorgezogene Neuwahlen zum Parlament für das kommende Frühjahr.