Besuch in Krakau

Stanislaw Lem, am 12. Sepember 1921 in Lwow (früher: Galizien im habsburgischen Österreich, heute Ukraine) geboren, arbeitete während der deutschen Besatzung in Polen als Automechaniker; nach Kriegsende beendete er sein Medizinstudium.

1948 erscheint Lems befremdlich-düsterer, unter dem Eindruck des Krieges stehender Roman Das Hospital der Verklärung. Der Autor beschäftigte sich mit Philosophie, Mathematik und der neuen Kybernetik. Zwischen 1950 und 1986 verfasst er zahlreiche Sciencefiction-Erzählungen und -Romane. Lems berühmtester Roman, Solaris, gilt als Klassiker des Genres und wurde 1973 vom sowjetischen Regisseur Andrej Tarkowskij verfilmt.

Auch Der Futurologische Kongress, Transfer und Der Schnupfen werden zu Meilensteinen der intelligenten Sciencefiction-Literatur. Lems Helden – Pilot Pirx, Ijon Tichy, Kelvin und wie sie alle heißen –bewegen sich in einem technologisch hoch aufgerüsteten Weltraum und werden, zentrales Motiv, immer wieder mit künstlicher Realität konfrontiert.

Auch theoretisch beschäftigt sich Stanislaw Lem bereits Anfang der Sechzigerjahre mit den Möglichkeiten der Simulation. 1964 publiziert er das Buch Summa technologiae, in dem er dieses von ihm Phantomatik genannte Phänomen analysiert. Mit der „Kopierbarkeit der Schöpfung“ – lange vor der öffentlichen Debatte um Gentechnologie – beschäftigt er sich ebenfalls in den Sechzigerjahren in Dialoge. Doch als Theoretiker erreicht Lem, zumindest in der Bundesrepublik, nicht die Anerkennung, die seine Romane ihm weltweit bescheren.

Er sei „zum Philosophen geboren“, konstatierte Lem einmal, doch leider zur falschen Zeit. Deshalb habe er sich in „jenem Ramschladen“ namens Sciencefiction niedergelassen.

Das „Privileg schöpferischer Freiheit“ dieses Genres nutzte er auch dazu, in einem System, mit dem er nach außen hin weder Feind noch Freund war, gesellschaftspolitische Utopien zu transportieren. Ende der Achtzigerjahre hörte der mit etlichen Literaturpreisen versehene Schriftsteller auf, Sciencefiction-Bücher zu produzieren.

Er veröffentlichte in den letzten Jahren eine Reihe von Essays, in denen er immer wieder über die „Gefahren des Internet“ berichtet, Informationssintflut und „Cyberkriege“ beschwört und sich in diesen Zusammenhängen häufig selbst zitiert.

Ich besuchte Stanislaw Lem vor wenigen Wochen in Polen. Der 78-Jährige lebt mit seiner Frau und einigen kleinen Hunden in einem Haus mit Obstgarten am Südrand von Krakau. Zu dem Gespräch bat mich Stanislaw Lem mit dem Charme des alten Mannes in sein rustikales Arbeitszimmer, in dem, wie könnte es anders sein, die Bücherreihen bis unter die Decke reichen.Mechthild Bausch

Literatur: „Eden“, dtv, München 1999, 352 Seiten, 10 Mark; „Das Hospital der Verklärung“, Suhrkamp, Frankfurt 1998, 272 Seiten, 17, 80 Mark; „Die Stimme des Herrn“ Suhrkamp, Frankfurt 1995, 288 Seiten, 17,80 Mark; „Also sprach Golem“, Suhrkamp, Frankfurt 1986, 190 Seiten, 14,80 Mark.

Im Internet schreibt er regelmäßig Kolumnen, zuletzt eine über Metainformationstheorie von einer befreiten Evolution: www.ct.heise.de/tp/deutsch/kolumne/lem/default.html