Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat
: Achtung: Gartenzaun!

Begehren – das Wort ist aus der Mode gekommen, die Sache nicht. Von den anderen das haben wollen, was man selbst nicht oder nicht ausreichend hat, ist gefährlich für eine Gesellschaft. Wenn sich die Gelegenheit ergab, standen oft genug die armen Schlucker mit Knüppeln, Sensen, später mit Gewehren vor den Türen der Reichen, die das zehnte Gebot so gern im Munde führten, haben diese samt Familie ins Jenseits befördert und sich genommen, was sie schon lange begehrt hatten.

Ob die armen Schlucker danach glücklicher waren, ist nicht überliefert. Für die israelitische Sozialordnung war dieses Gebot eine Stütze des inneren Friedens. Die eigenen Begehrlichkeiten enden am Gartenzaun. Basta! Eine Begründung wird nicht mitgeliefert. Haus, Weib, Knecht, Magd, Vieh – der Katalog der Dinge, die die Aufmerksamkeit des Nachbarn hervorriefen, war kurz, die sozialen Unterschiede nach heutigen Maßstäben gering. Begehrt wurde trotzdem.

Kein Wunder: Immer ist irgendwas da, für den, der begehrt. Genauer: Für den, der neidet. Neid wächst aus Unzufriedenheit über den eigenen Hausstand und findet stets ein fremdes Ziel. Das Verhältnis zu den Dingen bleibt unklar, der Abstand zu den Sachen des anderen gering, der Wunschzettel endlos.

Also weg von den Dingen? Unabhängigkeit, Autonomie? In einer Gesellschaft, die immer stärker in arme Schlucker und reiche Schlucker zerfällt, lassen sich Begehrlichkeiten auf den Besitz anderer nicht abtun. Welcher Sozialhilfeempfänger schaut zufrieden auf seinen Blumenkasten, wenn Philipp Holzmann zig Millionen Stütze vom Kanzler persönlich überreicht bekommt?

Dieses Gebot hat nur Sinn, wenn in einer Gesellschaft der Abstand zwischen Arm und Reich nicht unüberbrückbar wird, ansonsten bleibt es ein folgenloser Gruß aus der Welt der Religion. Neid, Maßlosigkeit und unerfüllte Wünsche bleiben uns sowieso erhalten. Und keine Gesellschaftsordnung hat sich dieser Zustände so innig angenommen wie die gegenwärtige. Haus, Weib, Vieh irgendwo am Toten Meer? Peanuts.

Eine ganze Branche ist nötig, um Begehrlichkeiten am Flackern zu halten. Wünsche, ob sie nun auf den Nächsten, Übernächsten, Hinterletzten gerichtet sind. Oder ganz einfach auf die Auslagen im Kaufhaus. Das zehnte Gebot fragt heute auch nach den eigenen Bedürfnissen, angesichts der zahllosen Dinge, die uns umgeben. „Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, myne Fru, de Ilsebill, will nich so, as ik wol will.“ Was hat Ilsebill nicht alles haben wollen? Und alles vom Fischer. Und der musste zum Butt. Ihre Karriere endete jäh. Das könnte uns eine Lehre sein.

Thomas Gerlach