Berlin, du spielst eine große Rolle – im Nebel

Es galt als das „Mekka des Massenevents“ in der Silvesternacht: die umstrittene Lichtinstallation „Art in Heaven“ an der Berliner Siegessäule. „Nazi-Ästhetik“ hieß es noch wenige Tage zuvor. Den Besuchern war’s wurscht – dem Wetter auch ■ Von Christoph Rasch

Kurz vor Mitternacht liegt die Siegessäule für Minuten in Dunkelheit und Stille. Dramaturgische „Atempause“ für hunderte Künstler, schwitzende Techniker und vor allem die 250 Xenon-Scheinwerfer rund um das 69-Meter-Bauwerk in Berlins Tiergarten. „Ich will einen Moment der Stille erzeugen. Jeder soll die Sekunde des Jahrtausendwechsels anmutig und innig erleben“, war das Dogma, das der Berliner Künstler Gert Hof ausgegeben hatte. Und wenige Augenblicke und einen Datumswechsel später steht die „Goldelse“ genannte Siegesgöttin im Berliner Tiergarten zwar unstreitbar im Mittelpunkt, aber dennoch im Schatten. Hofs Installation „Art in Heaven“ türmt sich über ihr auf, gleißend weiße und gelbe Lichtstrahlen schießen kilometerweit in den Himmel und kreuzen sich, riesige Leuchtballons steigen rings um die bläulich schimmernde Säule auf. Bleibende Bilder, von 65 Fernsehstationen in alle Welt übertragen – „Mekka des Massenevents“ attestieren Korrespondenten der Hauptstadt. Na also.

„Ihr seht grandios aus“, ruft der Einheizer von der Bühne denjenigen unter den rund 500.000 Zuschauern zu, die mit den eigenen Taschenlampen – für ein paar Mark an den Ständen ringsum erworben – in Richtung Siegessäule leuchten, und eher vergeblich versuchen, an der spektakulösen „Lichtkathedrale“ teilzuhaben.

Noch ein paar Wochen zuvor war Gert Hofs Installation ein Fall für die Feuilletons. Der Beleuchtung wurde ästhetische Nähe zu den nationalsozialistischen Flakscheinwerfer-Inszenierungen vorgeworfen, das Ganze erinnere zu sehr an Hitlers Architekten Albert Speer, hieß es.

In der Beleuchtertruppe selbst hat man sich längst an die Vorwürfe gewöhnt und kontert mit Aufträgen aus dem Ausland. Gert Hof (48) will nämlich auch die Olympischen Spiele in Sydney mit seiner Lichtkunst eröffnen. „Dass die Australier sich dadurch an die Olympiade von 1936 erinnern, möchte ich bezweifeln“, bemerkt lakonisch ein Techniker, der neben dem riesigen CityColor-Edelgas-Scheinwerfer die 550 blauen Speziallampen im Auge hat, die die Siegessäule säumen.

Athen hat den Datumswechsel bereits vollzogen, als um kurz nach elf in Berlin Sänger Mike Oldfield seine Hits „Pictures in the Dark“ und „Shadow on the Wall“ zum Besten gibt. Rettungswagen bahnen sich – genutzt als Trittbretttaxi – zentimeterweise den Weg durch die Masse, am Zaun vor den VIP-Tribünen werden Gummiknüppel gezückt, um durchbrechende Zuschauer zurückzuhalten – der ganz normale Silvesterwahnsinn im Tiergarten. Doch die großen Zwischenfälle bleiben auf dem 40-Millionen-Mark-Volksfest der „Silvester in Berlin GmbH“ aus. Und Organisator Willy Kausch freut sich, auch den Berliner Senat für zukünftige Feten erwärmt zu haben: „Ich will hier auch nächstes Jahr wieder eine Party steigen lassen.“

„Art in Heaven“ – ein faschistoides Spektakel? Der politische Streit der vergangenen Wochen ist kein Thema unter der ebenso bier- und sektseligen wie frierenden Feiergemeinde: „Mir hätte auch die ursprüngliche Fassung der Lichtshow gefallen. Scheinwerfer alleine sind doch noch keine politische Aussage“, sächselt eine junge Frau. „Typisch deutsch“ gar und „aufgebauscht wie die Ängste um den Millenniums-Bug“ findet ein 36-jähriger Kaufmann aus Hamburg den Speer-Vergleich der Lichtshow, seine japanischen Gäste im Schlepptau. Der Student Ralf Köch, mit Freundin aus Wien angereist, sieht das Spektakel nüchtern: „Letztlich geht es doch nur darum, einen Anziehungspunkt für die Leute zu schaffen. Was man sieht, ist den Leuten dann letztlich auch egal.“ Das mit dem Anziehungspunkt scheint gelungen, wie auch immer.

Gert Hof hatte auf Drängen des auf einen politisch korrekten Ablauf bedachten Berliner Senats seine ursprünglich strenge, kreisförmige Lichtersymmetrie aufgelokkert; bewegt und bunt tänzeln die Scheinwerfer, statt starres weißes Licht vertikal in den Himmel zu schießen. „Die Menschen haben es gesehen, ich bin nicht Albert Speer“, sagt Gert Hof dann kurz nach Mitternacht, über das technische Gelingen seiner „Lichtkathedrale“ erleichtert.

Wenn sie es denn gesehen haben, die Menschen. Denn das Gewölbe von Hofs Drei-Millionen-Watt-„Bauwerks“ aus Licht verschluckte eine Wand aus Nebel und Rauch. Schon an den bereits lange vor Mitternacht abgeriegelten Eingängen zum Großen Stern, fünfzig Meter entfernt, lagen die Sichtweiten unter zehn Metern. Nix „Art in Heaven“.

Und zehn Millenniums-Minuten später war die laut Veranstalter „größte Lichtshow der Welt“ auch schon wieder vorbei. Wie auf Kommando strömten die Massen am Großen Stern – so mancher hatte Stunden in den Minusgraden ausgeharrt – auseinander, Richtung S-Bahn oder Glühweinbude, den eigens komponierten Mitternachtsschlager „I give you my heart“ noch in den Ohren. „Berlin – you’re playing a big part“, heißt es da im Refrain. Zumindest mengenmäßig hat die Hauptstadt das ohne Frage bewiesen.