Italiens Panzerlücke

Zigarettenschmuggler-Banden im Süden rüsten kräftig auf. Jetzt will die Polizei nachziehen.Das Ergebnis ist ein absurdes Räuber-und-Gendarm-Spiel ■ Aus Otranto Werner Raith

Das Gefährt sieht aus wie einem frühen James-Bond-Film entsprungen: an den Seiten und hinten dicke Stahlplatten als Panzerung, vorne massive Gitter, an den Stoßstangen ausfahrbare Sporne, in den Seitentüren und hinten Schießscharten. Maresciallo Ottavio, Feldwebel bei der Guardia di finanza, zieht eine der angelehnten Türen auf, weist auf mehrere Schläuche, die ins Freie führen, auf allerlei Haltegriffe, Behältnisse mit Klapphebeln zum schnellen Öffnen: „Da rechts und links“, sagt er, „da ist Schmieröl drin, das man mit einem kleinen Druck auf die Straße entleert; in zwei weiteren sind Krähenfüße, also Nagelhaken, die die Reifen der Verfolger zum Platzen bringen.“ Er klettert hinein, öffnet einen weiteren Kasten: „Hier waren Explosivkörper drin, die auf der Straße ein schönes Feuerwerk abgeben. Und das hier sind Rauchentwickler, die ihren Qualm ins Freie verströmen.“

Der Landrover gehörte bis vor kurzem einem seriösen Geschäftsmann aus Venedig, wurde gestohlen und innerhalb von drei Wochen von Zigarettenschmugglern so aufgemotzt, dass er Zusammenstöße von mehr als 60 Stundenkilometer aushält, ohne fahruntüchtig zu werden. Diesmal allerdings scheint der Aufprall doch stärker gewesen zu sein – der Rahmen ist deutlich verformt, die Vorderachse gebrochen, das Dach eingedrückt. Feldwebel Ottavio ist besonders stolz auf den Fang: „Schließlich ist es uns erstmals gelungen, gleich eine ganze Kolonne dieser Rammkonvois direkt zu attackieren.“

Das Muster, nach dem Unteritaliens contrabbandieri in der letzten Zeit immer aggressiver vorgehen, um ihre eben aus dem Ausland angelandete Ware vor dem Zugriff der Finanzer zu schützen, ist fast immer das gleiche: „Die rasen in vier, fünf Wagen mit 100, 120 auch durch engste Ortschaften, natürlich mitten in der Nacht. Allen voran zwei Barrikadenbrecher. Stellen wir uns ihnen in den Weg, rammen die uns einfach zur Seite. Dahinter die Lastwagen mit der illegalen Ware, der durch die Lücke prescht, und danach noch mal ein gepanzerter Geländewagen. Von unseren Alfas ist danach meist nur noch Schrott übrig.“

So haben Italiens Steuerfahnder mittlerweile begonnen, hinter ihren auf der Straße quer gestellten Fahrzeugen Betonwände mit Reißdornen aufzubauen: „Zwar gehen unsere Autos dabei immer noch drauf – da verwenden wir eben ausgemusterte –, aber danach ist Schluss für diese Wuchtbrummen.“

Ausbildungsfilme, tituliert mit „Nicht für die Öffentlichkeit“, „Nur für den Dienstgebrauch“, zeigen die halsbrecherischen Zusammenstöße. Wie aus dem Nichts erscheinen die Lichter des Konvois, dann kracht es auch schon. Die nachschwenkende Kamera zeigt, wie sowohl das Polizeiauto als auch das gepanzerte Schmugglerfahrzeug durch die Luft wirbeln, und danach kippt auch der nachfolgende Lastwagen in den Graben. Allerdings: Der an letzter Stelle fahrende Geländewagen schafft noch eine rauchende Kehrtwende: „Den haben wir nicht mehr erwischt – der ist irgendwo im Gestrüpp der apulischen Steppe verschwunden.“

Maresciallo Ottavio nickt dabei durchaus anerkennend: „Die besten Fahrer von denen sind die Neapolitaner. Die bremsen einen auch dann noch aus, wenn ihr Wagen nur noch auf der Hälfte seiner Zylinder hüpft.“ Oft werden dabei allerdings auch Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen: Im September wurde eine Passantin getötet, Anfang Oktober gab es bei Otranto, Foggia, Melfi gleich vier schwere Unfälle, darunter einen, bei dem eine ganze Familie lebensgefährlich verletzt wurde.

Die Guardia di Finanza, der unser Feldwebel angehört, ist vorwiegend für das Aufspüren von Steuersündern zuständig, doch immer mehr rückt mittlerweile ein geradezu kriegerischer Kampf mit Schmugglerbanden in den Vordergrund. Nach einer eher ruhigen Phase seit dem Abflachen der Rauschgiftlinien Naher Osten– Palermo–Mitteleuropa (sie verlaufen jetzt über den Balkan) „nimmt die illegale Einfuhr von Zigaretten vor allem aus Albanien geradezu gigantische Formen an“, wie das römische Innenministerium Anfang Oktober feststellte.

Tagtäglich dümpeln nicht nur dutzende Seelenverkäufer und Schlauchboote mit verzweifelten Asylsuchenden über die Adria, sondern allnächtlich auch superschnelle Motorflitzer, laden illegale Ware aus und suchen wieder zu verschwinden, bevor die „Finanza“ oder die Küstenwache sie erwischen. Ein Räuber-und-Gendarm-Spiel, das bis vor wenigen Jahren noch eher pittoresken Charakter hatte und unzähligen Filmkomödien das Sujet gegeben hat.

Mittlerweile ist all das kein Spaß mehr, sondern oft tödlicher Ernst: Mehr als vier dutzend Polizisten wurden in einem Monat verletzt. Vorbei sind die Zeiten, wo Schmuggler, die sich entdeckt sahen, Reißaus nahmen. „Heute machen die kehrt und greifen uns an. Es geht schließlich nicht selten um viele hunderttausend Dollar pro Fuhre“, weiß Ottavio.

Dass der italienische Staat der Zigaretten habhaft werden will, hat höchst pekuniäre Motive: Italien leistet sich als Relikt aus feudaler und später faschistischer Zeit noch immer das „Tabakmonopol“: Nur der Staat darf Zigaretten, Zigarren und Pfeifentabak herstellen und verkaufen (in den famosen tabaccaie), und jeder eingeführte Glimmstengel unterliegt hohen Zöllen. Das bringt dem Fiskus alljährlich umgerechnet an die zehn Milliarden Mark ein. Nun raucht aber kaum ein Italienern gern die übel reichenden nazionali, und das wiederum ist die Grundlage für das Geschäft der Schmuggler. Wie attraktiv der Gewinn aus illegal eingeführten Zigaretten ist, zeigt eine Episode, die ein ausgestiegener Mafioso den Behörden berichtet hat. Danach hat der Philip-Morris-Konzern in den Achtzigerjahren versucht, den Schmuggel selbst in die Hand zu nehmen und die bis dahin führende Camorra Neapels auch mit Hilfe von Einschüchterungskommandos aus dem Feld zu schlagen.

Der Gewinn ist enorm. Umgerechnet an die 50.000 Mark bringt eine Lastwagenladung von 300 Kisten Zigaretten dem Schieber ein, nach Abzug aller Kosten wie Bootsmiete, Matrosen, Abgaben an die lokalen Unterweltherrscher. „Ein regelrechtes Netzwerk hängt an diesem Gewerbe“, sagt Ottavio: „Der Steuermann des Schnellboots kriegt etwa 1,5 Millionen Lire (etwa 1.500 Mark), seine Matrosen etwa ein Drittel, die Entladehelfer an die 150.000 Lire pro Ladung.“ Pro Nacht, so zeigen es Infrarot- und Radaraufnahmen, brechen bei günstigem Wetter oft mehr als ein dutzend solcher Blitztransporter zur Überfahrt an die adriatische Küste Unteritaliens auf. Und gerade mal ein Zehntel davon wird geschnappt – aus Mangel an Personal und Mitteln.

Seit die Finanzpolizei sich ebenfalls Schnellboote zugelegt hat, die die Verfolgung der Schmuggler aufnehmen können, haben die Gangster umgerüstet. Sie statten ihre Flitzer nun mit Rammsporen aus, bringen Panzerungen an und installieren regelrechte Bordkanonen statt der vormaligen Maschinengewehre. Auf einen der bekanntesten Schmugglerjäger der Finanzpolizei sollen die Gangster sogar ein „Kopfgeld“ ausgesetzt haben: Der Mann hat nicht nur tonnenweise Zigaretten beschlagnahmt, mit am Bug verstärkten Jagdbooten Schmuggelschiffe aufgebracht und ein halbes dutzend superpotenter Radarstationen zur „Früherkennung“ der polizeilichen Bootsbewegungen ausgehoben. Er hat das Innenministerium auch von der Existenz der „Panzerlücke“ überzeugt, einer Art Nachrüstung auf breiter Basis, um den kugelsicheren Schmugglergefährten zu Wasser und zu Lande gewachsen zu sein.

Nun werden in rascher Folge Fahrzeuge angeschafft, die auch den wildesten Angriff der Schmuggler standhalten sollen. In Versuchen haben einige der japanischen Sonderanfertigungen Rammstöße von der Stärke eines Panzerspähwagens überstanden. Platzt der Reifen durch Krähenfüße, strömt von innen Silikon in den Pneu, der Wagen kommt nicht mehr ins Schleudern, kann sogar noch mit ansehnlicher Geschwingkeit weiterfahren.

Auf einen solchen Wagen – Kosten um die 130.000 Mark pro Stück – hofft auch Maresciallo Ottavio. Bisher hat er ihn allerdings nur im Propsekt gesehen. In den nächsten Tagen will er ihn aber bei den Kollegen von Brindisi einmal probefahren. „Dann werden wir sehen, wer am Ende diesen Krieg gewinnt.“ Seine Augen glänzend dabei, auch er nicht ganz unähnlich einer Figur aus James-Bond-Filmen. Weniger enthusiastisch ist er dann allerdings bei der Frage, warum denn das alles sein muss. Tatsächlich nämlich hat der Krieg um die Zigaretten etwas Absurdes, in mehrerer Hinsicht. Der Staat rüstet auf, um ein weiterhin ein monopolistisches Geschäft zu betreiben, mit dem er faktisch den Menschen nichts anderes als Schaden zufügt.

Skurril“, findet die Zeitung la Repubblica die ganze Sache. „Da werden für Millionen Fahndungsmittel angeschafft und tausende von Beamten eingesetzt, um einer Ware willen, deren Packungen dann auf Grund staatlicher Normen mit der Aufschrift ,Achtung! Nikotin erregt Krebs‘ versehen werden müssen. Und danach muss die Allgemeinheit auch noch die Behandlung der Massenvergiftung bezahlen.“

Pecunia non olet hatten schon die römischen Kaiser gesagt, als sie die berühmte Klosettsteuer einführten – „es hat sich nicht viel geändert“, meint Maresciallo Ottavio. Allerdings hat er auch noch einen zweiten Widerspruch entdeckt, den er für nicht weniger gravierend hält: „Da explodiert halb Italien vor Mitleid und Wut, wenn ein Schmugglerfahrzeug wieder mal Passanten zu Tode rammt. Aber dann drehen sich die Leute um und kaufen ihre Zigaretten wieder beim Schmuggler an der Ecke und nicht beim staatlichen tabaccaio.“ Wenn es keine Nachfrage gäbe, meint Feldwebel Ottavio, gäbe es auch keinen derart aggressiven Schmuggel.

Umgekehrt wird allerdings auch ein Schuh daraus: Würde der Staat sein absurdes Monopol nicht aufrecht erhalten, wäre die Schmuggelware nicht mehr attraktiv. Und am Ende könnte sich die Sache sogar rechnen – wenn man die „Panzerlücke“ nicht mehr durch Millionen und Abermillionen teure „Nachrüstungen“ auffüllen müsste.