Nicht nur Erfolge
: Gräueltaten in Namen der Medizin

Zum 20. Jahrhundert gehören auch Tod und Vernichtung

Die durchaus positiven wissenschaftlichen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts werden für die Medizinsoziologin Heidrun Kaupen-Haas von den Gräueltaten während der Naziherrschaft überschattet. „Erst im 20. Jahrhundert wurde es möglich, Vernichtung durch Forschung zu betreiben“, lautet ihr Resümee. Denn im Nationalsozialismus starteten Mediziner Euthanasie-Programme, sie halfen, angeblich unwertes Leben zu selektieren, und „beteiligten sich aktiv am Genozid von Kranken, Zigeunern und Juden“. Ärzte führten Sterilisationsexperimente durch, die Zwillingsforschung des Doktor Mengele erlangte traurige Berühmtheit, und KZ-Gefangene wurden zu Forschungszwecken mit Tuberkulose-Erregern geimpft. Kaupen-Haas ist eine der wenigen Soziologinnen, die diese unrühmliche Geschichte der Medizin untersuchen. Dass heute die Diskussion um eine Ethik der Wissenschaft geführt wird, ist für sie unabdingbar.

Peter Drings, Chefarzt der Onkologie in der Thoraxklinik Heidelberg, möchte die Erfolge der Medizin nicht schmälern. Etwa die des Bakteriologen Alexander Fleming, der 1928 eher zufällig entdeckte, dass bestimmte Schimmelpilze Bakterien zerstören. Die Geburtsstunde des Penicillin war gekommen. „Infektionen haben seither ihren Schrecken verloren“, sagt Drings. Parallel dazu wurden immer neue Impfstoffe entwickelt. Die Entdeckung des Insulins erleichterte Zuckerkranken das Leben. Und starben Anfang des Jahrhunderts noch tausende von Säuglingen aufgrund von Durchfallerkrankungen, so ist heute auch dieser Schrecken in der westlichen Welt gebannt.

Außerdem, und das ist für den Gesundheitswissenschaftler Bernhard Badura aus Bielefeld die bedeutendste Entwicklung, „ist die Lebenserwartung der Menschen trotz größerer Katastrophen und Kriege erheblich gestiegen“.

Badura, der auch noch Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Public Health ist, gibt jedoch zu bedenken, dass all diese medizinischen Erfolge stark von der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes und den damit einhergehenden Lebensbedingungen abhängen. So sei in den „Ländern der ehemaligen Sowjetunion die Lebenserwartung der Menschen in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen.“ Karin Flothmann