Vor dem Schloss ■ Von Jürgen Roth

Es war spätabends, als K. ankam. Die Stadt lag in tiefem Nebel. Lange stand K. sinnend auf der Emser Brücke, die von der Messe ins Gallus führte, und stierte in die scheinbare Leere empor. „Der gestirnte Himmel über mir, das Gesetz des Handelns in mir“, flüsterte K. „Wäre der Himmel zu sehen.“

Dann strebte er, schon den Feierabend begehen wollend, zu seiner Werkzeugtasche unter dem Fahrersitz meines Autos. Ich stand nahe des Geländers nahe des Abgangs runter zum Hemmerichsweg an der Messe Frankfurt. K. war damit einverstanden.

Es war der dreizehnte Oktober gewesen. Ich kam auf dem Nachhauseweg von der Buchmesse mit Verleger Claßen, Königskoch Klink und dem Miltenberger Museumsmagister Neubert an einem Brückengeländer vorüber. Ich weiß nicht, schlug Claßen aus Mutwillen auf das Schloss ein oder aus Zerstreutheit, oder drohte er nur mit der Faust und schlug gar nicht – wenige Sekunden später stak ein zerbrochener Schlüssel darinnen, in meinem Schloss, und hatte augenscheinlich Claßens Schlag oder das, was ich für einen Schlag oder ein Rütteln nur hielt, nicht vollständig überstanden.

Er hatte den Schlag wahrscheinlich gar nicht getan, und hätte er ihn getan, so wird deswegen nirgends auf der Welt ein Beweis geführt. Verleger sind ja sehr unabhängig. Ich suchte das auch den Leuten um mich verständlich zu machen, sie hörten mich an, enthielten sich aber eines Urteils. Ich drängte sie fort, ich würde alles ins Reine bringen. Endlich folgten sie und machten sich mit mir auf den kurzen Weg zur Speise in der Zeitungsente, dortselbst V. Klink das Essen milde richtete. „Dieser Mann tut mir Leid“, sprach er, es war aber über allen Zweifel, dass er damit meinen gegenwärtigen Zustand meinte, sondern das, was mit mir geschehen würde.

Vor dem Schloss steht K. Ich überlege und frage, ob er jetzt den Aufschluss des Schlosses bewerkstelligen könne. „Es ist möglich“, sagt K., „mit einer Flex, Kältespray oder dieser Säge hier.“ K. bückt sich, um in das Innere des plastilinummantelten Schlosses und die dreifach veröste Schließvorrichtung zu sehn. Als er sägt und ich den Kopf schüttele und etwas rufe, lacht er: „Wenn es dich so lockt, versuch es doch selbst!“

Solche Schwierigkeiten habe ich nicht erwartet. Mein Schloss soll mir doch immer zugänglich und offen sein, offen-bar sein. Ich rufe nach dem Hallen- und Torwart Valentin. Valentin ruft, Tage der Finsternis unter Mithilfe der Messeschönheit Safran und des im Torhaus auf Stock zwei ermüdet sitzenden Herrn Stock verrinnen, Schlosser Muklitsch. Der Schlossknacker macht viele Versuche gegen den mehrfach verzackten Bartschlüssel und seinen Zylinder, aber er lächelt und sagt: „Gib’s auf, gib’s auf.“ Nur eine zwei Meter lange Brechstange kann meinem Fahrrad Freiheit bringen, und sie bringt sie, im Nebelnovember.

Das Schloss trug den Namen ABUS GRANIT, Made in W.-Germany and not in böhmisch-beamish Knödelcountry. Das neue, das ungerichtete und im Hinterhof meines Galluswohnhauses seinen Dienst still verrichtende und den Gesetzen der Schließtechnik gehorchende, es heißt bei 49,90 Mark 1 x Abus-Schloss. „Für mechanischen Abusus nicht geeignet“, meinte der Verkäufer von Uni Bikes. „Und immer warten.“