„Nicht einmal der Inflationsausgleich“

■ Streit um Pflege in Hamburg: „Notstand“, warnen die PflegerInnen – „alles normal“, meinen die Kassen

Die Kritik an der Pflegeversicherung ist so alt wie die Pflegeversicherung selbst. „Aber nun geht es nicht mehr“, sagt Jens Stappenbeck, Geschäftsführer der Hamburgischen Pflegegesellschaft, dem Dachverband der Hamburger Pflegeanbieter. Die fordern dringend mehr Geld von Kranken- und Pflegekassen sowie der Stadt als Sozialhilfeträger, um mehr Pflegepersonal einstellen zu können. „Gewährt wurde uns jedoch nicht einmal ein Inflationsausgleich“, so Stappenbeck gestern.

Noch schlimmer sei die Situation in der ambulanten Pflege. „Seit vier Jahren wurden die Preise für Leistungen im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung nicht erhöht“, klagt Stappenbeck. Der Tropfen, der das Fass nun zum Überlaufen bringt, ist der Landesverband Nord der Betriebskrankenkassen, der den Vertrag über häusliche Krankenpflege mit dem Ziel gekündigt habe, die Vergütung abzusenken, um die Beiträge stabil halten zu können.

„Dies ist ein Hilferuf der Pflegenden für neue Strukturen bei der Pflege“, erklärt Stappenbeck. Denn die Pflegeversicherung hat vieles geändert: Wegen des Grundsatzes „ambulant vor stationär“, kommen die alten Menschen inzwischen erst dann in eine stationäre Einrichtung, wenn es gar nicht mehr anders geht. Bis zu ihrem Tode vergehen nicht mehr durchschnittlich 32, sondern 17 Monate. „Wir haben gar keine Zeit mehr, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen“, klagt Barbara Kasischke vom Vorstand des Bundesverbands privater Alten- und Pflegeheime und ambulanter Dienste (bpa).

Die Mehrfacherkrankungen hätten zugenommen, die Verwaltungsaufgaben auch, soziale Aktivitäten hingegen und auch die gegenseitige Hilfe der Bewohner untereinander würden immer weniger. Die Lösung dieser Probleme erfordere zusätzliches Personal. Das aber gibt es nicht. Stefan Marks, Sprecher der Sozialbehörde, weist hingegen darauf hin, „dass die Einrichtungen zwar mehr Arbeit haben, wenn sie mehr Menschen der Pflegestufe drei zu betreuen haben, aber dafür auch höhere Pflegesätze bekommen“.

Die Pflegedienste klagen weiter, dass im ambulanten Bereich die Pflegenden immer weniger Zeit hätten. „Entweder müssen wir die Qualität der Pflege senken, oder viele Pflegedienste können wirtschaftlich nicht überleben“, prog-nostiziert Stappenbeck. Hartmut Sauer, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, bestätigt, dass die Hälfte der Hamburger Sozialstationen in massiven Geldschwierigkeiten stecke. „Die Stadt Hamburg hat durch die Einführung der Pflegeversicherung 200 Millionen eingespart, die sind voll in die Haushaltskonsolidierung geflossen.“

Für die Pflegenden ist der Pflegenotstand erreicht – die Ersatzkassen-Verbände (VdAK) sehen den nicht: „Die Finanzen der stationären Einrichtungen stehen auf soliden Füßen“, sagt Klaus Gollert, Leiter der VdAK/AEV-Hamburg. Und im übrigen sei es in Hamburg auch nicht schlimmer als anderswo. Sandra Wilsdorf