Damals, im Realsozialismus ...

1970. Die „Junge Welt“ fordert ihre Leser auf, sich die DDR und das Leben im Jahr 2000 vorzustellen. 2.000 Zuschriften trudeln ein, 500 sollen mit einem Bankett im Jahre 2000 belohnt werden ■ Von Jens Rübsam

Es war ein langer und harter Winter, der auf der jungen Republik lag. Erschwernisse hier, Tücken da, der Erste Sekretär stark beunruhigt. Und dann hat Lenin auch noch Geburtstag. Der Erbauer des Sozialismus wird hundert.

Was ist zu tun?

Auf Seite eins der Jungen Welt, Organ des Zentralrats der FDJ, erscheint in diesem Frühjahr 1970 ein Artikel mit der Überschrift „Träume ins Jahr 2000“. Die Jugend des Landes wird gefragt: „Hast du Fantasie zum Träumen? Hast du Lust zum Träumen? Hast du Mut zum Träumen? Was tust du am Donnerstag, dem 6. Januar des Jahres 2000?“

Was sich die jungen Republik-Bürger erträumten?

Zum Beispiel „Die erste Ernte in der Sahara hatte alle Erwartungen übertroffen.“ – „Meine fliegende Untertasse steht vor der Tür und bringt mich auf den Nachbarplaneten zum Einkaufsbummel.“ – „Ein gewisser Franz-Josef Strauß starb in einem Altersheim des Staates Ohio an der Saufleber.“ – „Auf der Erde gibt es nur noch sozialistische Länder und Europa hat sich zu einer Unionsrepublik zusammengeschlossen.“ – „Es wird im Jahr 2000 keine Sitzenbleiber mehr geben.“ – „Manfred Krug spielt ,Nathan der Weise‘.“ – „Ich gehe ins Bad und steige in die Körperwaschmaschine.“ – „In der Küche gibt es Erdölsuppe, mein Lieblingsessen.“

Wenn es um das Schicksal der Republik geht, lassen sich die Staatsbürger in ihren Träumen von niemanden übertreffen. Ob der Kommunismus über den Kapitalismus siegt oder die Technik über den Menschen – für und zum Wohle des Volkes wird alles getan, alles wird gut im Staate DDR.

„Die Träume“, sagt der damalige Junge Welt-Chefredakteur Horst Pehnert, „waren von einer unschuldigen Naivität geprägt.“ Kommunistisch, optimistisch waren die Gedanken, technikgläubig, astronautisch. Verwundern tat das nicht wirklich.

Wer zur Jugendweihe ein Buch namens „Weltraum, Erde, Mensch“ bekommt, wem in Lehrbüchern die wissenschaftlich-technische Revolution gepriesen und wem der Kosmonaut Juri Gagarin zum Freund erklärt wird, wer mit Werbeslogans aufwächst wie „Chemie bringt Schönheit und Glück“, der glaubt vielleicht wirklich: Ich kaufe mir demnächst auf dem Planeten Mond meine Milch in Tablettenform.

2.000 Zuschriften trafen 1970 bei der Jungen Welt ein, 500 erste Preise wurden ausgelobt.

Der Gewinn: Eine Einladung zu einem Bankett am 8. Januar 2000 in Berlin. Vielleicht im Palast der Republik? Vielleicht ein üppiges Büffet? Vielleicht der FDJ- und der Staatsführung die Hand schütteln können?