Nebensachen aus Italien
: Und was isst man in Deutschland?

Marina Zarotti hatte das große Los gezogen: zwei Wochen Deutschland, gewonnen in einer Lotterie an der Autobahn. Zwei Wochen München, Frankfurt, Berlin und Hamburg. Mit allem Drum und Dran: Modeschauen, Einkaufsbummel, Ausflüge zu den bayerischen Schlössern und Rundfahrten im Hamburger Hafen. Die Agentur, die den Preis gestiftet hatte, gehörte zweifellos zu den spendableren ihres Genres.

Dennoch: Marinas Familie hatte schon bald ein Problem. Zwei Tage ins Ausland, das geht ja – ein dicker Beutel mit Mortadella-Brötchen, drei Ringe Dauerwurst, dazu mehrere Tüten mit hausgemachten Keksen, Obst aus Großvaters Garten. Aber vierzehn Tage? Mutter Francesca stellte die entscheidende Frage: „Hast du dir überhaupt überlegt, was man in Deutschland isst?“

Ja, was isst man in Deutschland? Fest steht: sicherlich nichts, was dem italienischen Gaumen mundet, und schon gar nicht so wie zu Hause bei Mamma. Denn die ist, per definitionem, allüberall im Lande die mit Abstand beste, ja die einzige Köchin genießbarer Speisen. Millionen von Ehemännern quälen ihre Frauen ein Eheleben lang mit dem Spruch: „Mamma hat das aber anders gemacht.“

Dennoch: Die Möglichkeit, Marinas Reise ganz abzusagen, wird nach mehreren Tagen Diskussion im Familienkreis verworfen. Vater Emilio hat zudem bereits im Verwandtenkreis nachgefragt und für alle Fälle die jeweils den Aufenthaltsorten der Tochter am nächsten wohnenden Vettern und Tanten herausgefunden. Wenn alle Stricke reißen, lässt sich über diese genuin Südländisches herbeischaffen.

Italiens Beziehung zur Nahrung – ein täglich neu aufgelegtes, aufregendes Spiel. Wer als Ausländer mit Italienern tafelt, wird es bald bemerken. So gut die Gerichte auch sind – es gibt kein Menü, bei dem die Menschen nicht intensiv über andere Speisen diskutieren, die sie anderwärts gegessen haben, oder zumindest über eine andere Zubereitungsart dessen, was man gerade auf dem Teller hat. Germanische Hausfrauen und -männer geraten darob ab und an in Verzweiflung, werten sie doch das Gerede über das „Messerspitzchen halb scharfen Paprikas“, das Frau Mamma oder der Vetter, der zufällig Chefkoch ist, zusätzlich in die Spaghettisoße rührt, als Kritik an ihren Nudeln.

Dem ist allerdings wirklich nicht so: Reden übers Essen beim Essen bedeutet in Italien zumeist vor allem, dass man sich beim Tafeln sauwohl fühlt – und gereade deshalb kommen eben Erinnerungen an andere Gaumenfreuden auf. Wenn man Essen als schlimm abtun will, geschieht das meist mit einer wegwerfenden Handbewegung, die besagt: „Geh nur weg damit, ich will gar nicht darüber reden.“

Marina Zarotti allerdings kam aus Deutschland zurück und wollte wirklich übers Essen reden. Trotz der höchst skeptischen Gesichter ihrer Lieben schwärmte sie von Nürnberger Rostbratwürstchen und Sauerkraut, konnte sich über Schweinebraten mit Knödeln und Gurkensalat ergehen und war auch vom Münchner Kaiserschmarrn höchst angetan – bei letzterem gab es lediglich das Problem des Namens, denn dem entspricht in Italien nichts. „Misto dell’ imperatore“ übersetzte sie es schließlich, was ihren Landsleuten auch nichts sagte.

Inzwischen hat sie das meiste zu Hause nachzukochen versucht. Mit allerdings eher deprimierendem Erfolg. Zwar haben Vater, Bruder und auch ein Vetter zunächst kräftig zugelangt. Als aber Frau Mamma die ersten Happen probiert hatte und den Teller mit einem „interessant, interessant“ weit von sich schob, war das Urteil klar. Wenigstens in Marinas Familie wird sich deutsches Essen nicht durchsetzen. Werner Raith