Kater Fäkalo

Großer Onanist der Weltliteratur: Die „Fritz the Cat“-Comics von Robert Crumb liegen wieder auf Deutsch vor ■ Von Martin Zeyn

Neben Walt Disney ist Robert Crumb der bekannteste Comicautor der Welt. Dieser Ruhm beruht nicht auf seinen intensiven Zeichnungen von wirr wuchernden Vorstädten und faden Billigbauten, durch die matte Angestellte mit gefährlicher Affinität zum Amokläufer schlurfen. Die Faszination geht von der Inszenierung seiner Obsessionen aus.

Crumb ist einer der großen Onanisten der Weltliteratur, neben de Sade, Henry Miller und Georges Bataille: Text ist, was Sex ist. Der große Unterschied zur Pornographie liegt darin, dass bei diesen Autoren der Sex kompliziert daherkommt, sein Vollzug immer eine hoch komplexe Inszenierung braucht. Den allgegenwärtigen primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen, vulgo Titten und Ärschen, sind Verweise und Fußnoten eintätowiert: Fixierung, Übertretung, Schuld. Aus dieser unsicheren psychischen Gemengelage entstehen die Comics des Robert Crumb.

Hässlich und verklemmt, „das komplette Gegenteil des romantischen Hippieboys“, „die personifizierte Uncoolness“, wie er sich erinnert, zeichnet Crumb seit den 60er-Jahren barocke Landei- und College-Sexgöttinnen mit exorbitanten Körperrundungen, denen Gnome, Zwerge und Wichte nachstellen, geil und körperlich unterlegen. Zusammen mit der damals üblichen Kapitalismuskritik sowie modischen Loser- und Hängerfantasien machte ihn das zur Comicikone der Hippies: Er war fäkal- und analfixiert, versaut, diffus kritisch und mit Abstand der beste Zeichner des Undergrounds. Jeder (gibt es weibliche Fans?), dem als Kind mal geistiger und echter Schmutz verboten worden war, konnte allein mit Crumb-Lektüre späte Rache an der sterilen Mittelstandserziehung nehmen. Crumbs populäre Comicfigur war Fritz, ein geiler, nichtsnutziger, selbstsüchtiger Kater, der 1964 zum ersten Mal auftrat. Mit dem Zeichentrickfilm „Fritz the Cat“ von 1971 wurde Crumb weit über die Leserschaft in den damals noch legalen Headshops hinaus berühmt.

Crumb hasst diesen Streifen und dessen Regisseur. Am deutlichsten distanziert er sich vom Charakter der Filmfigur in der Geschichte „Fritz der Kater Superstar“, die mit anderen Fritz-Episoden nun von Reprodukt wieder vorgelegt wird. Hier zeichnet Crumb einen vom Erfolg korrumpierten, absolut zynischen Fritz. Das Charakterschwein hat ungeheuren Erfolg bei den Frauen. Am Ende wird er allerdings von einem zuvor misshandelten Huhn mit einem Eispickel umgebracht.

Das blutige Ende eines Phallokraten, eines Mannes, der sich beim Sex keine Mühe geben muss und dennoch die Frauen befriedigt? Um Missverständnissen vorzubeugen: Bei Crumb gibt es keine Ironie, nur Selbstanklage. In den Vorworten seiner amerikanischen Werkausgabe benutzt er immer wieder das Wort „frauenfeindlich“ für seine Arbeiten. Mit Zynismus hat das nichts zu tun. Crumb beichtet. Er bekennt sich nicht zu seinen Obsessionen, sondern er fühlt sich schuldig, sie zu haben. Außerdem klagt er, die vielen Beziehungen zu Frauen hätten dazu geführt, dass er seine Arbeit schleifen ließ. Tatsächlich wirken einige Zeichnungen aus den Endsechzigern ziemlich hingeschlurrt. Die Wut über sich selbst richtet er – kommt einem bekannt vor – gegen die begehrte Frau. Daher sein Spaß am Erniedrigen und Misshandeln, daher die Vergewaltigungsszenen. Der erzielte Lustgewinn wird nun wieder von Schuldgefühlen begleitet.

Dieser Sex ist nicht schick, und mit befreiter Sexualität hat er nichts zu tun. Wohl aber erklärt er den Erfolg von Crumb. Seine Geschichten erzählen nicht vom Evangelium der Hippies, vom „make love“, sondern sie reflektieren den Blick des kleinstädtischen Amerikas auf den Summer of Love, der geprägt ist von Gier, Neid, Lust, Schuld, Aggressivität, Angst. Crumb ist ein Chronist – er erzählt die unappetitliche Geschichte der Geilheit und perversen Gelüste, die aus einer verklemmten Mittelstandsmoral entstehen. In diesem Kaffeesatz der Sexualität lässt sich mit Lacan/Zizek wunderbar lesen – aber der Geschmack bleibt stumpf und bitter. Wer einen Beweis braucht, dass aus dem Es noch kein Ich geworden ist und das Es manchen Männer mehr Spaß macht, der findet ihn hier.

Robert Crumb: „Fritz the Cat“. Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt, Reprodukt 1999, 76 Seiten, 24,90 DM