Papst amtiert bis Himmelfahrt

■ Bischof Lehmann bricht ein Vatikan-Tabu: Der Chef der Deutschen Bischofskonferenz entfacht Spekulationen über einen möglichen Rücktritt von Johannes Paul II., will’s aber doch nicht so gemeint haben

Rom (taz) – Mit gerade mal einem Satz hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, eine Diskussion um den vorzeitigen Rücktritt von Papst Johannes Paul II. entfacht: „Ich traue dem Papst persönlich zu, dass, wenn er das Gefühl hätte, dass er einfach nicht mehr genügend in der Lage ist, verantwortlich die Kirche zu lenken, ich glaube, dann hätte er die Kraft und den Mut zu sagen: Ich kann das nicht mehr erfüllen, wie das nötig ist.“

Die Worte Lehmanns werden in aller Welt als sensationeller Tabubruch angesehen: Zum ersten Mal hat ein hochrangiger Vertreter der katholischen Kirche den derzeitigen Papst in Zusammenhang mit einem ratsamen Rücktritt gebracht. Dabei ist in dem in einem Rundfunkinterview geäußerten Satz Lehmanns eine Rücktrittsforderung gar nicht enthalten – was der Bischof gestern eiligst in einer nachgeschobenen Erklärung noch einmal unterstrich. Lehmann hatte allerdings in dem Gespräch hinzugefügt, dass es nicht einfach sei, an einen Rücktritt zu denken: „Niemand ist das gewohnt, dass es so etwas geben würde wie einen zurücktretenden Papst.“ Da hat er Recht: Der einzige Rücktritt eines Papstes in der Kirchengeschichte betraf Cölestin V. im Jahre 1294.

Gerüchte um mögliche Termine für eine Demission des bald 80-jährigen Oberhaupts über fast eine Milliarde Katholiken hatte es seit Jahren immer wieder gegeben, aber der Heilige Vater hatte alle Auguren enttäuscht. Immerhin war der Vatikan nach Lehmanns Äußerung so konsterniert, dass eine offizielle Reaktion noch am Tag nach seinem Interview ausstand. Lediglich ein Satz des Papstes beim Neujahrsempfang des Diplomatischen Korps schien darauf hinzuweisen, dass die Botschaft aus Deutschland angekommen war: Er fühle sich „seit 21 Jahren in väterlicher Stellung zu allen Menschen“, also offenbar ohne Lust auf vorzeitige Amtsniederlegung. Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner sprang dem Papst bei: „Für dieses Amt ist Weisheit erforderlich, die bekanntlich mit dem Alter eher zu- als abnimmt“, erklärte er. Italiens Außenminister Lamberto Dini gab sich gar empört: „Als Diplomat habe ich gelernt, dass der Papst bis zum Ende Anspruch auf Respekt hat. Es wäre ein großer Verlust, wenn er dem Pontifikat entsagen würde.“

Die Diskussion um die Nachfolge des ersten nicht italienischen Papstes seit fast 500 Jahren wurde mit Lehmanns Statement gleichwohl heftig entfacht: Die meisten italienischen Zeitungen publizierten gestern umfassende Überlegungen über die „papapili“, die für die Wahl des neuen Nachfolgers Petri geeigneten Kandidaten. Wobei nun, im Gegensatz zu früheren Spekulationen, erstmals wieder Italiener ganz besonders hoch gehandelte Kandidaten sind. Werner Raith

Tagesthema Seite 3