Zweckdienliche Liebe zu Bettino Craxi

Italiens Parteien und Korruptionsverdächtige versuchen, vom plötzlichen Tod des ehemaligen Sozialistenchefs zu profitieren

Rom (taz) – De mortuis nil nisi bene, pflegten schon die alten Römer zu sagen: Über Tote nur Gutes. Kaum einmal haben es die Italiener, vor allem ihre Politiker, aber so gut mit einem der Ihren gemeint wie nun mit dem am Mittwochnachmittag an Herzversagen verstorbenen ehemaligen Ministerpräsidenten und langjährigen Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, Bettino Craxi. Vom Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi bis zum derzeitigen Regierungschef Massimo D’Alema, von der Rechtspresse des Medienzaren und intimen Craxi-Freundes Silvio Berlusconi bis zu ehemals erbitterten Gegnern wie La Repubblicca und dem Corriere della Sera: Alle, alle wollen nur Vorzügliches über den mit 66 Jahren Verschiedenen gehört haben.

Ein „großer Staatsmann“ sei er gewesen, ein „Friedensstifter“ (Ciampi), einer „der Italien modernisiert und das Land zu europäischer Geltung gebracht hat“ (La Stampa) – und „zum Dank“ sei er nun „seit einem Jahrzehnt verfolgt, geächtet, ins schlimme Exil gezwungen worden“ (Il Giornale). Sogar die „freie Heimkehr als Todkranker“ sei ihm verwehrt worden (Il Foglio), weshalb seine Familie denn auch das von der Regierung angebotene Staatsbegräbnis abgelehnt hat, denn „er wurde regelrecht umgebracht“ (seine Tochter) – von den Staatsanwälten, die ihm hinterherermittelt, den Gerichten, die ihn verurteilt hatten.

Der Hintergrund vieler dieser Tränen ist nicht schwer zu erraten: So mancher hat selbst noch Korruptionsverfahren am Hals. Schafft man es, den Champion aller Schmiergeldeinstreicher als Märtyrer hinzustellen, haben es künftige Ermittler schwer.

Zur Erinnerung: Craxi wurde rechtskräftig zu insgesamt mehr als zehn Jahren Gefängnis verurteilt, noch fast einmal dieselbe Haftzeit wurde in noch nicht abgeschlossenen Verfahren gegen ihn verhängt, wegen Korruption, Betrug, Geldwäsche, Erpressung. Umgerechnet mehr als 400 Millionen Mark soll er aus Bestechungsgeldern ins Ausland transferiert haben – nicht eine Lira davon konnten die Behörden bisher zurückführen. Lediglich ein Schweizer Konto über gut sieben Millionen Mark könnte in nächster Zeit endgültig eingezogen werden. Wieviel er für seine Partei gelassen, wieviel selbst behalten hat, ist bis heute ungeklärt. Seine berühmteste Einlassung vor Gericht lautete: „Alle haben es gewusst, das System gab es schon immer. Warum soll gerade ich dafür büßen?“ Sagte es und verschwand ins Exil in Hammamet, Tunesien.

So versuchen seine Freunde nun, vor allem die Leistungen seiner Regierungszeit von 1983–87 hervorzuheben – was allerdings auch nicht so leicht fällt: Die angebliche zumindest partielle Befreiung von der erdrückenden Übermacht der USA (was aber in Wirklichkeit eher Verdienst seines schlitzohrigen Außenministers Andreotti war), die Abschaffung der „scala mobile“, der gleitenden Lohnanpassung (die den Unternehmern natürlich sehr passte, war es doch der erste massive Schritt zum Abbau des Wohlfahrtsstaates), ein neues Konkordat mit dem Vatikan, (das sich als grandiose Über-den-Tisch-Zieherei des Papstes erwies).

Menschlich wird von seinen Taten vielleicht am Ende nur eine bleiben – sein Eintreten für eine Verhandlungslösung im Falle des 1978 von den Roten Brigaden entführten Christdemokraten Aldo Moro; die war am Ende dann aber auch nicht erfolgreich, Moro wurde ermordet. Werner Raith