An der Kante zum Nichts

Bewegendes Schweben zwischen Zeit, Raum und Medien: Die Galerie Gebauer präsentiert Malereien und Videos der norwegischen Künstlerin A. K. Dolven ■ Von Sandra Frimmel

An der „Kante zum Nichts“ befinden sich Anne Katrine Dolvens Gemälde. Die großformatigen Malereien der Norwegerin, die derzeit in der Galerie Gebauer zu sehen sind, verbinden sich derart mit der Wand, dass sie beim Betreten des Raumes kaum wahrnehmbar sind und man versucht ist, an ihnen vorbei in den nächsten Raum zu stürmen. Doch nach dem anfänglichen Entsetzen über die eigene Ignoranz erwachen die Bilder aus ihrem Schlaf, beginnen sich zu regen und zu rekeln, kommen dem Betrachter entgegen. Der Blick konzentriert sich völlig auf die Farbe, die durch ihren Aluminiumuntergrund strukturlos und somit ungebunden wirkt.

Je nach Betrachterstandpunkt und Lichtintensität enthüllen sich ähnlich wie bei Malewitschs suprematistischen Radiowellenbildern verschlungene Bänder, die Bildoberfläche beginnt sich zu bewegen, verändert sich beständig. Hologramme, erzeugt durch pure Farbe, eine silbrig bläulich orangefarbene Wellenbewegung, deren wesentlicher Bestandteil Zeit ist. Durch konzentriertes Warten verändert die Zeit die Malereien von Blick zu Blick, dehnt ihre Grenzen, ohne das Medium zu verlassen. Nicht jedoch ohne es zu erweitern. Denn Anne Katrine Dolven hasst klare Trennungen. Deswegen nähert sie im Gegenzug ihre digitalen Videoarbeiten „puperty“ und „portrait with a cigarette“ der Malerei an. Beide Werke beziehen sich nicht nur im übernommenen Titel auf die Gemälde Edvard Munchs, sondern auch im Motiv.

In „puperty“ sitzt ein junges Mädchen nackt auf einem Bett und hört über Kopfhörer ihre Lieblingsmusik, irgendein Drum-’n’-Bass-Stück. Das Vergehen der Zeit, ansonsten im Video deutlich und wesentlich, wird nur wahrnehmbar durch den Klang der Musik und durch das minimale Kopfschütteln des Mädchens. Die Videoarbeit zieht sich in sich selbst zurück und besinnt sich auf das Gemälde, an das sie angelehnt ist.

Ebenso verfährt die Künstlerin mit dem „portrait with a cigarette“. Anstelle des distinguierten Herrn bei Munch setzt sie wieder ein Mädchen, das mit einer Fernbedienung Musik an- und ausschaltet. Das Fortschreiten der Zeit wird auch hier nur durch die wechselnde Musik und den aufsteigenden Zigarettenrauch sichtbar. Zusätzlich verleiht der flache Bildschirm den Videos einen ursprünglich den Gemälden zugedachten Rahmen. Anne Katrine Dolven wandelt das Gemälde zum Film, das Video zum Gemälde, die Grenzen changieren, fließen teilweise ineinander, doch ohne zu verwischen. Zeitliche Situierungen werden aufgehoben, das Übergangsstadium wird zusätzlich durch die Mädchen in der Pubertät, ähnlich wie bei der Fotografin Rineke Dijkstra, hervorgehoben.

Dolvens Malerei ist abstrakt, ihre Videoarbeiten sind gegenständlich. Sie setzt die Bilder in Bewegung, die Videos in einen Zustand der Ruhe. Gewissheit herrscht nur über das verwendete Medium. Ihre Abneigung gegen klare Grenzen verursacht ein wohlig unsicheres Zwischenstadium des Vertrauens in die eigene Wahrnehmung, die sich zwischen dem Wandel der künstlerischen Techniken verliert.

In der Videoarbeit „saturday night“, die als ständiger Teil der Sammlung Hoffmann in den Sophienhöfen gezeigt wird, vollzieht sich zusätzlich noch eine Unklarheit des räumlichen Bezugspunktes. Der Betrachter sitzt auf einer Parkbank vor der Projektionswand und schaut auf drei von Gardinen verhangene Fenster. Ob sich die bergige Landschaft in den Fenstern spiegelt oder ob der Blick aus dem Fenster hinaus auf die Berge trifft, lässt sich anfangs nicht entscheiden.

Auch die zeitliche Einordnung ist erschwert, da die Helligkeit zwar Tag verheißt, doch die auf eine Party hinter den Vorhängen deutende Musik Nacht suggeriert. Eine Feier in einer Polarnacht, in der die Sonne nicht untergeht. Bewegung erschließt sich auch hier nur durch Schemen hinter den Vorhängen, der Ablauf der Zeit wird nahezu nur durch die Musik angezeigt. Zeit- und Ortlosigkeit, Uneindeutigkeit des Gesehenen, ein Aufenthaltsort dazwischen, ein ständiger Wechsel ohne endgültige Entscheidung.

Am 17. März wird A. K. Dolven schließlich den Fred-Thieler-Preis für Malerei erhalten, der ihr Gesamtwerk würdigt. Ein Malereipreis für Video, eine Absage an klare Trennungen, ein leicht steriles Dazwischenschweben.

Bis zum 26. Februar, Dienstag bis Samstag von 12 bis 18 Uhr, Galerie Gebauer, Torstraße 220, Mitte