Gottlieb im Tal als alter Mann

Das Wildererdorf Dettenhausen zwischen Dichtung und Wahrheit

Erst fühlten sich die Dettenhäuser geehrt, dann waren sie böse auf „ihren“ Fernsehautor Felix Huby. – Nun ist’s umgekehrt ...

„Dazu sag i lieba nix“ („Dazu sage ich lieber nichts“, Schreibweise ohne Gewähr) ist derzeit die häufigste Antwort, die man von den Bewohnern des schwäbischen Dorfes Dettenhausen bekommt. Dabei reden sie, seit die Affäre bekannt wurde, über nichts anderes. Das Dorf ist heillos zerstritten, der Bürgermeister sagt: „Es tut mir eigentlich ein bisschen Leid.“

Und das alles nur wegen des Dorfjubiläums. Ein großes Fest sollte es werden, größer noch als sonst die Feste des Gesangvereins und des Harmonika-Clubs, und der berühmteste Sohn Dettenhausens, der Drehbuchautor Felix Huby („Tatort“, „Oh Gott, Herr Pfarrer“), sollte dafür ein Theaterstück schreiben. Die Theatergruppe „Dettahäuser Fleckatheater“ stand für die Proben bereit, und Autor Huby saß bereits über der dritten Fassung, nachdem er Änderungswünsche wie den, das Nationalgericht „Kartoffelkuchen“ vorkommen zu lassen, durchaus ernst genommen hatte. Huby hatte für die Premiere den schwäbischen „Tatort“-Kommissar Bienzle und den schwäbischen Volksschauspieler Walter Schutlheiß angeworben und wollte selbst die Rolle des Büttels übernehmen. Auch beim Fernsehen hatte er schon angefragt, und nun das: „Ich weiß nicht,“ sagt der in Berlin lebende Autor, „was in meine Dettenhäuser gefahren ist.“ Und die wissen es vermutlich selber nicht.

Es fing damit an, dass einige Dorfbewohner im Held des Theaterstücks ihren 1977 verstorbenen Großvater wieder erkannten, im Dorf „Gottlieb im Tal“ genannt. Der zog am Weihnachtstage 1902, während die anderen Dorfbewohner in der Kirche waren, in die Wälder um Dettenhausen und schoss einen kapitalen Zwölfender – den Hirschen des Königs, weshalb das Geweih ins Jagdschloss kam und Gottlieb in die Strafkompanie. Was aber hatte Felix Huby aus der Geschichte gemacht?

Entsetzt stellten die Enkel fest, dass das Theaterstück über weite Strecken erfunden war: Huby hatte den Wilderer, zur wahren Tatzeit ein Jüngling, zum alten Mann gemacht, außerdem Liebesgeschichten der Enkel hinzugedichtet und anderes mehr. Die Geschichte stimmte hinten und vorne nicht!

„Bisher sind wir eigentlich unbescholten gewesen“, klagt eine Enkelin, die von dem Ganzen erst erfahren hat, als sie beim Arzt darauf angesprochen wurde. Das Theaterstück sei „kein wahrheitstreuer Bericht“, bringt eine andere Enkelin die Sache auf den Punkt, und das „konnten wir nicht auf uns sitzen lassen“. Viel schlimmere Wilderer als den Großvater habe es gegeben, und niemals hätte er sich, wie im Stück behauptet, gegen das ganze Dorf gestellt. Felix Huby hätte sie bloß mal fragen sollen, sie hätten ihm schon gesagt, wie es wirklich war. Nach behutsam gescheiterten Vermittlungsversuchen setzte die Theatergruppe, mit den Beschwerdeführern zum Teil weitläufig verwandt, das Stück in aller Stille ab.

Felix Huby aber ist nun böse auf seine Dettenhäuser. Den alten Wilderer, an den er sich als an einen „ziemlich lauten, ungebärdigen Mann, der breitschultrig daherkam“ erinnert, habe er, Huby, in seinem Stück als „lieben Kerle dargestellt“, obwohl im Dorf jeder wisse, dass der seine Familie „bis aufs Blut schikaniert“ habe.

Im wirklichen Leben wurde Gottlieb im Tal später Jagdaufseher und Ehrenmitglied des Schützenvereins. Felix Huby aber bekam zum Trost eine Jubiläumsuhr mit dem Logo von Dettenhausen drauf. Daniel Wiese