Unter Marxisten

Alte Gespenster und entfremdete Helden: Kresniks „Don Quixote“ an der Volksbühne

Großreinemachen in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Die Staubsauger dröhnen noch, als das Publikum bereits zu seinen Plätzen strebt. Eine bunt bekittelte Putzkolonne poliert Türen und Notausgangsschilder, saugt, wischt und räumt. Später werden dem Säuberungskommando auch schubkarrenweise blaue Bücher in die Hände fallen, die in den Orchestergraben wie in den Orkus stürzen: die Werke von Marx und Engels.

„Don Quixote“ heißt das Stück, in dem Johann Kresnik Cervantes’ berühmte Romanfigur mit dem „Kommunistischen Manifest“ von Karl Marx verkoppelt hat. Eine Idee, die 1914 auch schon Georg Lukács hatte, für den der traurige Ritter der erste entfremdete Held der Weltliteratur war. Auch er las Cervantes schon mit Marx, lange bevor er selbst Marxist wurde.

Jetzt also Johann Kresnik, der immer noch Marxist geblieben ist und sich wohl als letzter unentfremdeter Held des Theaters sieht. Sein „Don Quixote“ allerdings entfaltet längst nicht die bildmächtige Kraft, die man sich für diesen Abend gewünscht hätte. Denn die Idee ist schlagend, immer noch. Die Bühne von Hans-Joachim Schlieker ist weiß und schön, von meterhohen Spalieren eingefasst, an denen in besseren Zeiten sicher mal viele Blumen rankten.

Aber das Säuberungskommando hat ganze Arbeit geleistet. In Schubkarren brennen Bücher. Bloß ein Buch überlebt, gerettet von einer energischen Oberputzfrau (Karin Neuhäuser). Sie beginnt zu lesen, laut, versteht sich: von einem ziemlich alten Gespenst, dem Gespenst des Kommunismus. Zum Staubsaugerton gesellt sich der Ton einer Geige. Zwischen den Putzkolonnen taucht ein schöner Tänzer (Krzysztof Raczkowski) in Bluse und sehr engem Beinkleid auf und strahlt einen Hauch Nurejew aus. Vorher schleppte eine ziemlich abgerissene Ballerina (Simona Furlani) heulend einen Kübel voller Zwiebeln durch die Sitzreihen. Auch sie kommt aus einer anderen Zeit und einem anderen Tanztheater.

Manche glauben, dass damals auch die Welt der Kunst noch sehr in Ordnung war. Der schöne Tänzer ist Kresniks Don Quixote. Er tanzt sich nun in den nächsten zwei Stunden – zusammen mit einem ausgestopften Osvaldo Ventriglia als Sancho Pansa – durch Kresniks eher vage Vorstellungen von einer entzauberten Welt. Todesschwadronen drohen mit Messern, Blut und Exkremente spritzen, rote und schwarze Fahnen flattern im Wind.

Irgendwann senkt sich eine Ahnengalerie des Schreckens über die Szene: Porträts in Rot von Lenin über Che Guevara bis Dagobert Duck sind zu sehen. Auch ein berühmtes Hitlerbild, der Führer in Ritterrüstung. Auch der ein Don Quixote, der gegen die Windmühlen des Weltkommunismus kämpfte. Der Tänzer nimmt das Bild, tanzt in das zerreißende Papier herein und taucht aus dem Rahmen mit Hitlerbärtchen wieder auf. Dialektik à la Kresnik. „Wie nahe liegen die Austreibung der Fantasie, Vernunft und Terror beieinander?“, fragt der Pressetext des Theaters. Wir hätten es gerne gewusst, haben aber wenig darüber erfahren. Esther Slevogt

Heute sowie am 16. und 20. Februar, jeweils 19.30 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxenburg-Platz