Chillen, chatten, zappen – und dann?

Mehr Schüler als gemeinhin angenommen scheitern im Unterricht an der englischen Sprache. Doch am schwersten tun sich Legastheniker beim Erlernen einer Fremdsprache

„Hey teacher, leave us kids alone!“ Und was dann? Chillen, chatten oder zappen? Obwohl sie in ihrem Alltag inzwischen dauernd präsent ist, haben viele Schüler mit der englischen Sprache Probleme: An einigen weiterführenden Schulen ist Englisch das Versagerfach Nummer eins – in Niedersachen mussten 1998 70 Prozent der Sitzenbleiber in den Realschulen und Gymnasien wegen mangelhafter Leistungen in der ersten Fremdsprache die Klasse wiederholen. Das liegt weniger an Faulheit oder Desinteresse, sondern vielmehr daran, dass Englisch schwieriger ist als angenommen. So haben Wissenschaftler aus London und Salzburg in einer vergleichenden Studie herausgefunden, dass britische Kinder mehr Zeit als deutsche zum Schreibenlernen benötigen. Besonders darunter zu leiden haben Legastheniker. „Die englische Orthographie ist extrem komplex und mit vielen Unregelmäßigkeiten gespickt“, sagt Helmut Dast, Leiter des Böblinger Instituts für schriftsprachliche Pädagogik. Vor allem werde Englisch „ganz anders notiert als gesprochen“. Hören Legastheniker das Wort „alright“, schreiben sie erst einmal „olrait“. Aus deutschsprachiger Sicht ist auch „nidid“ statt „needed“ richtig – nur leider falsch. Ebenso schwer merken können sich Legastheniker die Ausnahmen bei der Aussprache. Kompliziert sind für sie auch die ständigen Verkürzungen – wenn aus dem langen „a“ in „nation“ bei „national“ ein kurzes, helles wird.

Während die psychischen Folgen der Legasthenie bekannt seien, hätten die deutsche Pädagogik, Fachdidaktik und Linguistik die Lese- und Schreibschwäche beim Erlernen einer Fremdsprache bisher völlig vernachlässigt, moniert Dast. Er hat eine Methode entwickelt, die Legasthenikern ein besseres Verständnis der englischen Sprachstruktur vermitteln soll. Sein Buch „Das unnötige Versagen in Englisch“ wird inzwischen auch in der Lehrerfortbildung Baden-Württembergs benutzt.

Bei Dasts „Entdeckendem Lernen“ leitet der Therapeut die Schüler mit einem „zeichenanalytischen Rechtschreibsystem“ an, Gesetzmäßigkeiten in der Rechtschreibung und Aussprache quasi noch einmal in ganz kleinen Schritten selbst zu entdecken, sie mit Symbolen und Farben zu kennzeichnen und sie somit auf eine kindgerechte Art festzuhalten. Dast verdeutlicht Ähnlichkeiten mit der deutschen Sprache (wie „swim“ von schwimmen) oder baut Eselsbrücken: Wer begreift, dass sich „night“, „flight“, „fight“, „right“ reimen, weiß auch, dass die Wortendungen in der Regel gleich geschrieben werden.

Dass Legasthenie ein „Talentsignal“ sei, wie der amerikanische Autor Ronald D. Davies predigt, glaubt Dast nicht. Statistisch gebe es nur „minimal“ mehr (Hoch-) Begabte Legastheniker, vor allem in technischen Fächern wie Physik und Mathematik. „Wenn sie besondere Fähigkeiten entwickeln, dann meist als Ersatz für ihr Defizit beim Beherrschen der Schriftsprache.“ Ähnlich zu erklären sei, warum sich viele Legastheniker häufig nur schwer konzentrieren können, leicht ablenkbar oder emotional labil sind: „Oft sind die Ursachen schlicht Abwehrreaktionen des Kindes auf sein Versagen im Schreiben und Lesen.“ Wichtig sei, dass man Legasthenie möglichst früh behandle – am besten schon im Vorschulalter.

Fest stehe, so Dast, dass eine Kulturnation ein „bestimmtes Maß an Sprachbeherrschung“ voraussetze. Allein deshalb müsse Kindern mit Lese- und Schreibschwäche geholfen werden. Dafür sei neben den Förderangeboten vor allem wichtig, dass „endlich auch im Unterricht mehr Rücksicht auf die Legastheniker genommen wird“. Ole Schulz

Helmut Dast: „Das unnötige Versagen in Englisch“. Institut für fremdsprachliche Pädagogik, Sindelfingen/Böblingen, 39,80 DM. Das Buch ist auch direkt beim Institut zu beziehen, Tel. (0 70) 31 22 90 09