Rückschlag für die Gentherapie

Mehrere Tote und über 690 schwer wiegende Komplikationen bringen die Gentherapie in Misskredit. Die meisten Vorfälle wurden über Jahre verschwiegen ■ Von Wolfgang Löhr

Für viele unheilbar Kranke war und ist sie der einzige Hoffnungsschimmer, um dem schrecklichen Schicksal ihres Leidens zu entkommen. Die Gentherapie sollte einmal all das heilen können, was die Ärzte derzeit nicht in den Griff bekommen können. Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, selbst bei Aids sollte die Gentherapie in nicht allzu ferner Zukunft Heilung bringen. Umso tiefer sitzt der Schock, nachdem jetzt in den USA bekannt geworden ist, dass die Gentherapeuten jahrelang schwer wiegende Nebenwirkungen der neuen Methode gegenüber den Behörden verschwiegen haben. Über 600 schwer wiegende Vorkommnisse bei gentherapeutischen Studien räumt ein jetzt von der US-Gesundheitsbehörde NIH vorgelegter Bericht ein. Darunter auch mehrere Todesfälle. Die US-Behörden haben die ersten Konsequenzen gezogen: Mehrere klinische Prüfungen, die als zu risikoreich eingeschätzt werden, sind vorerst auf Eis gelegt worden.

Aufmerksam auf die zum Teil drastischen Nebenwirkungen der Gentherpien wurde die US-Behörden erst durch den Tod des 18-jährigen Jesse Gelsinger, der bei einer Versuchsreihe am Institute for Human Gene Therapy (IHGT) in Philadelphia an Organversagen starb. Er galt als erstes und einziges Opfer einer Gentherapie.

Der 18-Jährige starb an mehrfachen Organversagen, nachdem ihn die Ärzte manipulierte Adenoviren verbreicht hatten. Mit den manipulierten Schnupfenviren sollte eine genetische Stoffwechselstörung der Leber korrigiert werden. Für Gelsinger war die Krankheit nicht lebensbedrohend. Ihm konnte mit konventionellen Methoden geholfen werden.

Adenoviren sind ein beliebtes Werkzeug der Gentherpeuten. Sie werden als so genannte Vektoren eingesetzt, die das einzuschleusende Gen in die Körperzellen übertragen. Weil sie in der Lage sind, sehr große DNA-Stücke zu übertragen, sind sie sehr beliebt. In den USA werden sie bei rund 30 Prozent der Gentherapiestudien eingesetzt

Jesse Gelsinger wurden die Adenoviren zum Verhängnis. Wie sich später bei der Autopsie heraustellte, hatten die Viren sich im ganzen Körper ausgebreitet und eine Kettenreaktion des Immunsystems ausgelöst, die letztendlich zum Versagen der Organe führte.

Bekannt würde auch, dass Gelsinger eigentlich gar nicht an dem Versuch hätte teilnehmen dürfen. Aufgrund seiner Krankheit lagen die Stoffwechselwerte deutlich über den Werten, die von der US-Arzneimittelbehörde FDA als Voraussetzung für den Test festgelegt worden waren.

Der Tod Gelsingers löste in den USA eine breite Diskussion über die Risiken der Gentherpie aus. Das NIH erinnerte die Leiter der gentherapeutischen Studien daran, dass sie nicht nur dazu verpflichtet seien, unerwünschte Nebenwirkungen und Vorkommnisse der Arzneimittelbehörde FDA zu melden, sondern auch der Gesundheitsbehörde NIH, unabhängig davon, ob diese nach Einschätzung der behandelnden Ärzte auf die Gentherapie zurückzuführen sind. Grund für diesen Aufruf ist der unterschiedliche Umgang mit diesen Daten bei der FDA und dem NIH. Während die FDA verflichtet ist, die Daten vertraulich zu behandeln, kann das NIH damit an die Öffentlichkeit gehen.

Die Resonanz auf den Aufruf war selbst für Insider eine Überraschung: Innerhalb kürzester Zeit gingen über 690 Berichte von Gentherapeuten ein, in denen schwer wiegende Probleme während des Studienverlaufs beschrieben werden. Nur 39 Fälle davon waren so wie vorgeschrieben zuvor schon den Behörden gemeldet worden. Den Berichten ist auch zu entnehmen, dass noch drei weitere Testpersonen während der Versuche starben. Die Todesfälle geschahen alle in Kliniken, die mit der Havard University in Boston, dem führenden Gentherapie-Zentrum in den USA, zusammenarbeiten. Nachdem schon zuvor die Vesuche am Institute for Human Gene Therapy in Philadelphia gestoppt wurden, entschloss man sich vor wenigen Tagen, auch in Boston mehre Gentherapiestudien abzubrechen. Zudem wird jetzt bei den Behörden auch überlegt, ob die Meldefristen nicht noch enger gefasst werden müssen.

Auch in Deutschland werden Gentherapiestudien mit Adenoviren durchgeführt. „Wir haben sofort nach Bekanntwerden des ersten Todesfalles mit allen Beteiligten die möglichen Konsequenzen diskutiert“, berichtet Professor Klaus Cichutek, der am Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als Leiter der Abteilung Medizinische Biotechnologie für die Bewertung der klinischen Gentherapie-Tests zuständig ist. Eine von den drei Studien, bei denen Adenoviren eingesetzt werden, ist erst einmal abgebrochen worden. „Die anderen beiden sind mit den amerikanischen Studien nicht vergleichbar“, so Cichutek, „sie werden als nicht Risiko behaftet eingestuft.“

Nach Angaben des PEI-Mitarbeiters waren bis Ende letzten Jahres in Deutschland insgesamt 37 Gentherapie-Studien registriert worden. Wie viele davon bereits angefangen worden sind oder noch in der Planungsphase stecken, konnte Cichutek auch nicht sagen. Ebenso ist nicht bekannt, wie viele Probanden bei den Versuchen teilnehmen. „Wir bekommen nur die Meldung, wie viele es maximal werden sollen, wie viel es dann tatsächlich sind, erfahren wir nicht.“

In Deutschland müssen gentherapeutische Studien an mehreren Stellen gemeldet werden. Zu allererst muss ein positives Votum einer Ethikkommission entweder der Landesärztekammer oder der betreffenden Klinik vorliegen. Diese Entscheidung wiederum muss der bei der Bundesärztekammer eingericheteten „Kommission Somatische Gentherapie“ vorgelegt werden. Darüber hinaus verlangt das Arzneimittelgesetz, dass klinische Prüfungen grundsätzlich beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ beziehungsweise beim PEI eingereicht werden müssen.

„Vorfälle wie in den USA sind bei uns nicht möglich“, versichert Susanne Stöcker, Sprecherin des PEI. Bei uns müssen alle schwer wiegenden Vorfälle gemeldet werden. Derzeit wird auf EU-Ebene auch daran gearbeitet, dass alle beteiligten Behörden in den Mitgliedsstaaten über laufende Gentherapiestudien informiert werden müssen. Bisher findet dieser Informationsaustausch zwar auch statt, ist aber noch nicht formal geregelt. „Überlegt werde auch“, so Cichutek, „ob ein Teil der Daten dann nicht auch öffentlich zugänglich gemacht werden soll.“