Geliebte des Todes

■ Hertha Kräftner ist vergessen. Dabei galt sie einmal als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen Österreichs. Bremer Theaterleute entdecken sie jetzt wieder

Sie war erfolgreich: Die Texte der gerade zwanzigjährigen Schriftstellerin wurden gesendet, gedruckt, prämiert. Trotzdem steht Herta Kräftner in keinem Literaturlexikon der Welt. 1928 in Wien geboren, starb sie 1951 an einer Überdosis Veronal. Peter Härtling sieht in ihr die „neben Ingeborg Bachmann wichtigste österreichische Lyrikerin der Nachkriegsjahre“. Die Schauspielerin Judica Albrecht und die Regisseurin Friederike Füllgrabe machten sich auf die Suche nach Werk und Spuren der Wienerin und bereiten jetzt zusammen mit der Musikerin Mechthild Hettich eine Premiere im Haus im Park vor. Wie es dazu kam, erzählt Friederike Füllgrabe der taz.

taz: Wie und wo haben Sie Hertha Kräftner entdeckt?

Friederike Füllgrabe: Judica Albrecht schickte mir einen Artikel über Hertha Kräftner – einen immerhin gibt es. Und dann fanden wir ein Buch: „Kühle Sterne“, Gedichte, Prosa und Briefe von Hertha Kräftner. Es ist 1997 herausgegeben und schon wieder vergriffen. Da hatten wir schon mal das ganze Werk, das sind einschließlich der Briefe immerhin 350 Seiten.

Was hat Sie so fasziniert?

Zunächst einmal weniger die Dichtung als ihr Selbstmord, beziehungsweise ihr Umgang damit und ihre Einstellung dazu. Seit es ihr nicht gelang, ihre Depressionen unter Kontrolle zu bekommen, trug sie immer Veronal bei sich, was für sie wie eine Befreiung wirkte. Mehr noch, sie empfand den Tod als einen Liebhaber, den sie erwartete.

Sie hat ja ein Jahr vor ihrem Tod einen Prosatext geschrieben „Wenn ich mich getötet haben werde“. Mir ist da aufgefallen, wie distanziert und rational sie damit umgeht.

Genau diesem Geheimnis wollte ich auf die Spur kommen. Denn zu den Texten hatte ich erst keinen Zugang, richtige Sülze, dachte ich, das Mädchen, das auf ihren Erlöser wartet. Erst als ich Jean Amérys Buch „Hand an sich legen“ über den Freitod gelesen habe, fand ich ihre Texte wirklich, erkannte die Sprache der Sprache. Dass sich ein Mensch die Freiheit nimmt, sich zu töten, halte ich für ein ungeheuer wichtiges Thema.

Ist es ein geschlechtsspezifisches Thema?

Eigentlich nicht. In Wirklichkeit aber doch. Männer verüben Selbstmord mit viel Blut, das Frauen wegwischen. Frauen verschwinden unauffällig und bleiben im Tod schön – wie auch Hertha Kräftner mit ihrem Veronal.

Wenn wir mal verschiedene Motive für das Schreiben von Frauen passieren lassen, treffen wir auf Rollenverweigerung, auf Schreiben als Befreiung und Emanzipation. Man kann schauen, wohin man will, das Schreiben von Frauen – schon bei den Romantikerinnen, Gertrude Stein, Christa Wolf, Marlen Haushofer, Virgina Woolf – ist immer sehr viel stärker mit der Biographie verbunden als bei männlichen Schriftstellern. Was war Hertha Kräftner denn für ein Mensch?

Sie erstickte in der bürgerlichen Enge des Nachkriegsösterreich. Da strebte sie raus, taugt aber nicht als Beispiel für weibliche Emanzipa-tion. Sogar im Gegenteil: Sie wollte sich nie distanzieren, für ihre Menschwerdung sucht sie den Mann, sie sucht die Symbiose. Vielleicht war sie für einen weiteren Schritt zu jung?

Hatte sie eine Beziehung?

Ja, da gab es einen Anatol, der immer da war. Der bat sie zum Beispiel: Lebe für mich. Umgekehrt wäre das ja nicht möglich.

Noch einmal zum biographischen Schreiben: Rahel Varnhagen war Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die erste, die ihr Leben zu ihren Schriften machte. Auch bei Hertha Kräftner wirkt jeder Text als aus dem Leben gezeugt. Ist das so?

Unbedingt. Man kann sie in ihren Dichtungen direkt sehen.

Wie verstand sie denn dann ihren Beruf?

Das Schreiben verstand sie eben nicht als Beruf, sodern als Berufung. Dem entspricht, dass sie nicht kontinuierlich arbeiten konnte. Und ihr ganzes Werk strahlt nicht aus: Ich möchte Schriftstellerin werden, sondern: Ich möchte geliebt werden.

Sie sagten vorhin, das Thema Selbstmord ist Ihr Gestaltungsthema. Wie sind Sie denn zusammen mit Judica Albrecht und der Komponistin und Akkordeonspielerin Mechthild Hettich vorgegangen?

Also ich mach auch die Sülze, hoffe aber, die Texte durch die Reflexionen Kräftners selbst uns sehr nah treten zu lassen. Kräftner hatte keinen Ort, aber ich auch nicht. Man muss sich sehr öffnen, will man so einem Thema begegnen. Das kos-tete uns allen Mut zur Ehrlichkeit. Zuerst muss man einen Blick in die eigenen Abgründe riskieren, daraus lassen sich theatrale Bilder entwickeln. Die Musik trägt sehr zum atmosphärischen Ausdruck bei. Begleitung und Kommentierung der Texte war nie unser Ziel. Die Schauspielerin und die Musikerin sind zwei Facetten einer Person, das Außen und das Innen.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

„Der Flügelschlag des Schmetterlings“: Premiere am 10. Februar im Haus im Park, Züricher Straße 40. Weitere Aufführungen am 11. und 12. Februar sowie am 11., 12. und 13. Mai, jeweils 20 Uhr