Dokumentation
: „Ich verneige mich in Demut“

Bundespräsident Rau hat vor der Knesset um Vergebung gebeten

Bundespräsident Johannes Rau hat in einer Rede vor dem israelischen Parlament um Vergebung für den Holocaust gebeten. Auszüge aus der auf Deutsch gehaltenen Rede des Bundespräsidenten, der als erster deutscher Staatsmann vor der Knesset in Jerusalem sprach:

„Ich weiß, was es für manchen von Ihnen bedeutet, in diesem Hohen Haus heute die deutsche Sprache zu hören. (...) Ich empfinde [ihre Einladung] als Zeichen des Willens, Geschichte niemals zu verleugnen, und als Zeichen des Mutes, die Schreckenslähmung dieser Geschichte dennoch zu überwinden.

Im Angesicht des Volkes Israel verneige ich mich in Demut vor den Ermordeten, die keine Gräber haben, an denen ich sie um Vergebung bitten könnte. Ich bitte um Vergebung für das, was Deutsche getan haben, für mich und meine Generation, um unserer Kinder und Kindeskinder willen, deren Zukunft ich an der Seite der Kinder Israels sehen möchte. (...)

Ich tue das vor Ihnen, den Vertretern des Staates Israel, der (...) den Juden in der Welt, vor allem aber den Überlebenden der Shoah Zuflucht gegeben hat. (...)

Auch wir Deutschen werden in alle Zukunft begleitet werden: von den Bildern der Morde, die Deutsche zu verantworten haben. Deutsche und Israelis sind in dieser Erinnerung untrennbar verbunden.

Die persönliche Schuld mag der Täter mit ins Grab nehmen. Die Folgen einer Schuld, die die Grundlagen menschlicher Sittlichkeit erschüttert hat, tragen die nach ihm kommenden Generationen. (...)

Wir müssen unseren Kindern diese Zusammenhänge immer wieder erklären. Darum ist die Schärfung des historischen Bewusstseins eine der wichtigsten politischen und kulturellen Aufgaben im deutsch-israelischen Verhältnis. Wenn die Zeitzeugen gestorben sind, muss das Wissen sicher in die Hände der Jugend übergeben worden sein. Das sind wir auch denjenigen Deutschen schuldig, die sich damals, als es darauf ankam, gerecht verhalten haben. (...)

Nach einer langen Phase des Überlegens haben wir am diesjährigen Tag der Befreiung des Lagers von Auschwitz, dem 27. Januar, der auch in Deutschland ein Erinnerungstag geworden ist, den Bau des zentralen Holocaust-Mahnmals in Berlin auf den Weg gebracht. Sie werden die Diskussion um dieses Mahnmal verfolgt haben. Ich bitte Sie, sie nicht anders zu verstehen als das, was sie war: ein Ringen um die richtige Form des Gedenkens. Niemals darf es dazu kommen, dass die Errichtung eines Mahnmals etwa gar als symbolische Form der Entschuldung fehlverstanden wird. Gedenken braucht Orte. Aber Orte können das Gedenken nicht ersetzen.

Materielle Leistungen können auch nicht für das Unrecht entschädigen, das Millionen Zwangsarbeitern angetan worden ist. Dass Unternehmen und Bundesregierung eine Stiftung für humanitäre Leistungen an diese Opfer des Nazi-Regimes gegründet haben, war wichtig, weil sie ein Bekenntnis zu unserer Verantwortung ist. Aber an der Sache muss noch weiter gearbeitet werden.

Welches Deutschland können israelische Jugendliche heute kennen lernen? Die Bundesrepublik ist eine lebendige, pluralistische Demokratie. (...)

Natürlich erleben wir auch Fremdenfeindlichkeit, Integrationsprobleme, und es gibt auch Antisemitismus. Das zu leugnen wäre falsch und gefährlich. Hier stehen wir weiterhin vor großen Aufgaben. (...)“ Reuters