Eine Göttin zum Gähnen

Sibylle Berg, die Rosamunde Pilcher des Nihilismus, liest heute im Literaturhaus aus ihrem neuen Roman „Amerika“  ■ Von Volker Hummel

Dass Liebe kälter ist als der Tod, wissen wir spätestens seit dem gleichnamigen Fassbinder-Film. Noch kälter allerdings ist es im Sonnenstaat Kalifornien, bekannt für bekömmlichen Wein, fette Orangen und rundum braungebrannte Pamela-Anderson-Klone. Jedenfalls im literarischen Kosmos von Sibylle Berg, die den vier Hauptfiguren ihres neuen Romans Amerika am Ende nicht den üblichen Splatter-Tod gewährt, sondern die Teleportation ans Ziel ihrer Wünsche. Nach 150 Seiten altbewährter Bergscher Erniedrigung und Verzweiflung, in denen Hollywood als Projektionsfläche banaler alternativer Lebensentwürfe herhalten musste, gelangen ihre „Helden“ Raul, Anna, Karla und Bert ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Schönheit, Reichtum, Ruhm, Liebe, alles ist da, aber Amerika wäre nicht von Sibylle Berg, wenn die Figuren schließlich glücklich wären.

Die Grundzüge des neuen Romans gleichen damit ziemlich genau denen seiner zwei Vorgänger Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot (1997) und Sex II (1998): Eine Handvoll verzweifelter Figuren sind auf der Suche nach Geld, Ruhm, Sex, Liebe sowie dem Leben und finden es nie. Stattdessen gibt es Einsamkeit, Armut, Leere und vor allem den Tod. Die Romane sind episodisch angelegt, die Geschichten werden kaum entwickelt, die Figuren begegnen sich fast nie, und wenn sie es doch tun, versinken sie hinterher in noch größerer Einsamkeit. Die Rosamunde Pilcher des Nihilismus entwirft Versuchsanordnungen, und die Menschen darin sind wie Ratten in einem Experiment, in dem es um die Frage geht, wie viel jemand ertragen kann, bevor er zu Grunde geht. Die Autorin ist die Göttin dieses erstarrten Universums, sie kennt alle erbärmlichen Ängste und Sehnsüchte ihrer Figuren, weiß, wie oft sie onanieren und wovon sie nachts in ihren kalten Betten träumen. Aber nie greift sie in das geschilderte Elend ein, nur beim Sterben hilft sie gerne nach und bei der Gestaltung der Umschlagfotos.

Glaubt man dem Bild, das Amerika schmückt, dann ist die göttliche Autorin inzwischen die Fleisch gewordene Kleinbürger-TV-Vision von weiblichem Erfolg, irgendwo zwischen Hera Lind und Joan Collins, Albtraum und Wunsch. Das ironische Spiel mit der Selbstdarstellung hat bei Sibylle Berg mittlerweile Methode: Schon ihre ers-ten beiden Romane schmückten medial vorgeformte Selbstbildnisse. Sollte sie weiterhin im bisher vorgelegten Tempo Bücher veröffentlichen, dürfte sie in ein paar Jahren eine Sammlung stereotyper Frauenbilder zusammen haben, die dem Werk von Cindy Sherman in nichts nachstünde.

Was auf der Ebene der Selbstdarstellung als fröhlich-anarchisches Spiel durchaus Spaß macht, ruft allerdings als kaum variierte Erzählmethode lediglich Gähnen hervor. Oft erscheint das von Sibylle Berg geschilderte Elend als ebenso abgegriffen wie die Träume vom Glück, die nicht ihren Figuren gehören, sondern nichts weiter sind als Klischees und Stereotypen aus TV und Kino. Ist eben alles aus zweiter Hand in unserer heutigen Medienwelt, und die Autorin spielt mehr oder weniger gekonnt mit deren Codes und einem freischwebenden Verdruss am Stand der Dinge. Jedenfalls hat Sibylle Berg mit ihrer monotonen und synthetischen Leidensprosa eine mediale Nische entdeckt.

heute, 20 Uhr, Literaturhaus; Sibylle Berg: „Amerika“, Hoffmann und Campe, Hamburg 1999, 240 Seiten, 36 Mark