Aufkochen, aufziehen - und dann spritzen

Andrang im Druckraum „Drob Inn“ am Hamburger Hauptbahnhof ist größer als die Kapazitäten

Die Spritze steckt auf der Hand. „Aua, Scheiße“, zischt Rainer. Er starrt auf seine Linke, als würde er sich fragen, was die „Pumpe“ da macht. Neben ihm kocht einer sein Heroin „türkisch“ auf – ohne Wasser. „Stinkt wie der Teufel“, schimpft seine Tischnachbarin. „Volltreffer“, grinst Ahmed, als er nach vergeblichen Einstichen eine Vene in der Wade gefunden hat.

Pausenlos ist Bewegung im Druckraum des „Drob Inn“ am Hamburger Hauptbahnhof. Die Spritze präpariert, zieht sich ein Mann hinter den Wandschirm zurück, um unbeobachtet eine noch nicht völlig vernarbte Vene in der Leiste zu suchen. Die KonsumentInnen werfen blutige Tupfer in die Tonne. Löffel und Abbinder geben sie am Tresen wieder ab.

Ein Mittdreißiger mit blondem Zopf krempelt schon im Reineilen seinen Ärmel hoch und ruft der Sozialarbeiterin seine Spritzenbestellung entgegen: „Zwei Braune und einen Zweiertank, bitte.“ Die Junkies am Tisch arbeiten währenddessen hoch konzentriert: aufkochen, aufziehen, spritzen. 20 Minuten hat jeder Zeit für seinen Druck. Dann wischt die Sozialarbeiterin mit Desinfektionsmittel den stählernen Tisch für den nächsten Klienten ab. Schon eine Stunde ehe das „Drob Inn“ öffnet, drängeln sich über 100 Junkies vor der Tür. Zwei MitarbeiterInnen schließen zusammen auf, um dem Ansturm standhalten zu können. Die meisten eilen geradewegs auf das kleine Kabuff zu, in dem die Warteleiste für den Druckraum geführt wird. Zwischen 200 und 250 Leute kommen täglich ins „Drob Inn“. Sieben Plätze gibt es für „intravenösen Konsum“, drei im Rauchraum, in dem Heroin und Crack vom Blech inhaliert werden können.

Eine Minute ist jetzt geöffnet, der Laden ist voll. Die Liste auch. Auch Manuel steht darauf, er ist der Zwölfte. Wartezeit: eine halbe Stunde. Das ist okay, noch schiebt er keinen Affen, hat keinen Entzug. Nach der Hektik vor der Tür kehrt schnell Ruhe ein. Alle sitzen in Kleingruppen um die Tische herum. Wer nicht isst, raucht.

60 KlientInnen können gleichzeitig ins „Drob Inn“. Die übrigen müssen in der Warteschlange draußen stehen. Einer tritt wütend gegen die Tür. Krankenpfleger Amadeus von der Oelsnitz erteilt das erste Hausverbot. Regeln, erklärt Einrichtungsleiter Peter Möller, sind wichtig. Dealen ist nicht erlaubt. Wer nicht im Gesundheitsraum, sondern im Café drückt, fliegt raus, wer randaliert, ebenso. 362 Hausverbote wurden im vorigen Jahr ausgesprochen.

Manuel ist Stammgast, wie die meisten. Hier ist sein Zuhause. Vorigen April war er clean, wenige Tage später wieder drauf. Zu seinen Leuten sei er zurückgekehrt. Das Schlimmste wäre für ihn, „sich von dem Zeug vereinnahmen zu lassen: Ich bin nicht für die Droge da, sondern die Droge ist für mich da“, doziert er.

Von der Oelsnitz, der den Satz aufschnappt, lächelt nachsichtig. Die MitarbeiterInnen hören zu, aber winken auch ab. Sie kennen die KlientInnen und auch die Geschichten, die sie zum Besten geben. Die Sozialarbeiterin am Eingang schubst einen Junkie rigide zurück und knallt die Tür vor ihm zu. Der wollte unbedingt noch rein und „erzählte totalen Scheiß, dass seine Mutti gestorben ist“, sagt sie genervt. „Drob Inn“-Leiter Möller weiß: „Wenn trotz Überfüllung jeder reinkäme, der zur Ärztin will, müssten alle zum Arzt.“

Manuel ist an der Reihe, laut ruft jemand seinen Namen. Zügig eilt er in den Druckraum, „zwei Insus, einen Löffel und Tupfer, bitte“. Sozialarbeiterin Elke Drieves fragt ihn, was er drückt, und trägt es in eine Liste ein: Kokain. Minuten später verharrt Manuel in gebeugter Haltung über dem Tisch, die Augen halb geschlossen. Die anderen beachten ihn nicht. Einer kämmt sich seelenruhig vor einem Spiegel das Haar. Ein anderer hält seine fertige Spritze zwischen den Lippen, während er beide Arme nach Einstichstellen absucht. Neben ihm konzentriert sich ein Junkie darauf, einem Freund die Spritze hinter das linke Ohr zu setzen.

Elke Driever tippt Manuel auf die Schulter. Er reagiert noch. Kein Notfall. 168-mal mussten Junkies im vorigen Jahr reanimiert werden – rund die Hälfte in der Einrichtung. Während der Öffnungszeiten ist stets eine Ärztin oder der Krankenpfleger im „Drob Inn“. Zudem sind alle MitarbeiterInnen in der Erstversorgung geschult. Läuft jemand blau an, wird ein Krankenwagen gerufen.

Viele Junkies gehen mehrmals zum Drücken rein. Auch Rainer steht wieder auf der Warteliste. Er lebt auf der Straße. Morgens, ehe das „Drob Inn“ öffnet, setzt er sich den ersten Schuss „irgendwo in der Innenstadt“. Um 11 Uhr kommt er hierher und bleibt, bis um 20 Uhr geschlossen wird. Sein Name wird aufgerufen – zum sechsten Mal an diesem Tag.

Elke Spanner, Hamburg