Düsentriebs Hürdenlauf

Was es nicht alles gibt! Schneckenscheren, Einhandpflaster, Eis abweisende Kunststofffolien . . .Für jeden nur erdenklichen Zweck lassen sich Tüftler neue patentwürdige Dinge einfallen. Erfinder werden ist gar nicht so schwer! Erfinder sein dagegen schon: Ein schlechtes Image, bürokratische Schikanen und die Ignoranz der Industrie machen ihnen das Leben sauer. Und gelegentlich stehen sie sich selbst im Weg Von Martin Ebner

Kein Handwerksmann soll etwas Neues erdenken oder erfinden oder gebrauchen“, verordnete im Jahr 1532 die Zunfturkunde der Stadt Thorn. Längst vergangene Geschichte? Noch in diesem Jahrhundert, im kommunistischen Ostblock, wurden Erfinderverbände regelmäßig aufgelöst. Heute ist Erfinden in Deutschland nicht verboten, zumindest nicht grundsätzlich. So richtig erwünscht sind Innovationen aber auch nicht – einmal abgesehen von Sonntagsreden, die beschwören, dass man nur mit „Kreativität“ im globalen Wettbewerb bestehen könne.

Die Probleme fangen schon in den Schulen an. Seit Jahren werden die Stunden des Kunst- und Werkunterrichts gekürzt, klagt zum Beispiel der Lehrer Hubert Fenzl. Als er 1982 auf die Idee kam, am humanistischen Maristengymnasium in Fürstenzell bei Passau eine „Erfinderwerkstatt“ einzurichten, waren die Schulbehörden keineswegs begeistert: „Was für Erfindungen sind von Schulkindern schon zu erwarten?“ Die Erfinderwerkstatt schert sich nicht um ihre Kritiker und ist bis heute erfolgreich. Von den tausend Schülern des Gymnasiums nutzen rund dreißig das Angebot. Die besten Ideen kommen – gegen alle bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur „kreativen Leistungsfähigkeit von Kindern“ – mit vierzehn Jahren: klemmfreie Reißverschlüsse, Futternäpfe mit Verdunstungskühlung, verschleißarme Flugzeugreifen. Achtzehn Patente wurden den jungen Erfindern bisher erteilt.

Seit vier Jahren bekommen die Fürstenzeller auch vom Staat einen kleinen Zuschuss. Die vorige Bundesregierung war zu der Einsicht gelangt, das „Erfinderklima“ in Deutschland müsse verbessert werden. Sie startete für Kleinbetriebe und freie Erfinder, deren Anteil an den Patentanmeldungen seit Jahren bei sechzehn Prozent liegt, das Programm „Innovationsstimulierung der deutschen Wirtschaft durch wissenschaftlich-technische Information“, kurz Insti. Nach dem Vorbild des japanischen Instituts für Erfindung, das seit 1904 Japan mit einem Netz von Erfinderklubs überzieht, soll es Erfinder und Wirtschaft zusammenbringen. Es reiche nicht aus, das Patentwesen zu verbessern, fand der damalige Forschungsminister Jürgen Rüttgers: Vor allem das Sonderlingimage der Erfinder müsse beseitigt werden.

Heute werden von Insti 163 Erfinderklubs gefördert, etwa hundert davon sind bei Schulen angesiedelt. Beate Treu, die am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln das Programm koordiniert, ist optimistisch, dass die Klubs auch nach dem Auslaufen der Förderung im Jahr 2000 erhalten werden können. Das Forschungsministerium entscheidet darüber in diesem Frühjahr. Abgesehen von den Klubs scheint Rüttgers’ Erfinderinitiative aber versandet zu sein. Karl Bauch vom Deutschen Erfinderverband klagt, die Rahmenbedingungen für „kreative Einzelpersonen“ und Kleinunternehmen seien „seit vielen Jahren unbefriedigend“. Und die neue Bundesregierung habe es bisher „nicht verstanden, auch nur einzelne Weichen in die Richtung für mehr Erfindernähe zu stellen“.

Besonders stört die Erfinder, dass es nicht gelungen ist, die „Neuheitsschonfrist“ wieder einzuführen. In Japan und den USA können Erfinder ihre Ideen veröffentlichen, Prototypen auf Messen ausstellen, mit potenziellen Kunden sprechen, Kinderkrankheiten kurieren – und trotzdem innerhalb von sechs Monaten ein Patent erwerben. In Deutschland ist das seit dem Europäischen Patentabkommen von 1978 nicht mehr möglich. Und sei die „Veröffentlichung“ auch noch so klein – eine Patentanmeldung ist danach nicht mehr möglich. Ein nationaler Alleingang zur Wiedereinführung der Schonfrist wäre wenig sinnvoll, auf EU-Ebene aber konnte sich die Bundesregierung bisher nicht gegen den Widerstand Frankreichs und der Chemieindustrie durchsetzen.

Auf Europa sind die Erfinder ohnehin schlecht zu sprechen. Es gibt zwar seit 1973 in München das Europäische Patentamt, aber immer noch kein Patent, das in allen beteiligten 25 Staaten oder wenigstens im ganzen EU-Binnenmarkt gelten würde. Die europäischen Patentgebühren wurden zwar gesenkt, an den horrenden Übersetzungskosten, die schnell einmal 37.000 Mark erreichen, hat sich aber nichts geändert, weil alle Staaten auf ihrer Sprache bestehen. „Das europäische Patent ist eine Mogelpackung“, schimpft Karl Bauch. De facto müsse man sein Patent dann doch wieder für jedes Land eigens durchfechten. „Und in Italien läuft nichts ohne Patentanwalt. Den ersten Termin bekommt man nach fünf Jahren.“

Erfinder sollten sich teure internationale Patente erst einmal sparen und „vor der Haustüre anfangen“, empfiehlt der Erfinderverband. Bei wirklich guten Ideen kann das jedoch ein Fehler sein: Ernö Rubik zum Beispiel meldete seinen „Zauberwürfel“ nur in Ungarn zum Patent an – und sah im Rest der Welt prompt durch die Finger.

Das Bundesforschungsministerium konnte sich nicht einmal mit seinen Vorstellungen zum deutschen Patentwesen durchsetzen: Die Patentgebühren werden keineswegs „stabilisiert“, sondern sind am 1. Januar um fünfzehn Prozent erhöht worden. Das deutsche Patentamt DPMA untersteht nicht dem eher innovationsgeneigten Forschungs- oder Wirtschaftsministerium, sondern ist ein Stiefkind des Justizministeriums. Obwohl die Zahl der Patentanmeldungen steigt und das DPMA sogar Gewinn abwirft – 1998 fast 64 Millionen Mark –, wurde sein Personal reduziert. Von der Anmeldung bis zur Erteilung eines Patents verstreichen im Schnitt 33 Monate – moderne Produktzyklen sind oft kürzer!

Kleinbetriebe erwirtschaften aus Unkenntnis über die Perspektiven des Patents „Verluste von mehreren Milliarden Mark“, schätzt das Wirtschaftsministerium. Tüftler wie Artur Fischer, der Dübel und andere Erfindungen konsequent durch sechstausend Patente absicherte und darauf ein florierendes Unternehmen baute, sind selten. Wer keine eigene Firma hat, findet schwer Hersteller für sein Produkt.

Als Hans-Benno Roolf im Auftrag der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern auf den Gedanken kam, zwischen Innovationen und Arbeitsplätzen könnte ein Zusammenhang bestehen, und den Dialog mit Unternehmen suchte, merkte er: „Einige reagieren richtig abweisend, wenn sie auf die Entwicklung neuer Produkte angesprochen werden.“ Gute Erfindungen bedrohen nicht nur eingeschliffene Routinen, sondern auch gut gehende Geschäfte: Wer, außer den Käufern, kann zum Beispiel wartungsfreie Ölfilter gebrauchen? Kann ein Konzern, der Atomkraftwerke baut, Interesse an Strom sparenden Staubsaugern haben? Ewigen Ruhm erlangte die Entscheidung der Firma Siemens, das in Deutschland erfundene Faxgerät den Japanern zu überlassen: „Wir haben doch unser Telex!“

Berufserfinder Heinrich Schreiber, von den Medien wegen seiner Schneckenschere zur Tötung von Gartentieren geliebt, hat es deshalb „längst aufgegeben“, Hersteller für seinen genial einfachen Einfall „Enteisung ohne Abtauen“ zu suchen. Seine Sperrmüllklapptische baue er nur noch deshalb bei Messen auf, um die Konsumenten aufzuhetzen: „Ich will den Leuten zeigen, was alles möglich ist. Damit sie im Laden nachfragen: Warum kann man die Innenwände von Kühltruhen nicht einfach mit einer Plastikfolie auskleiden, an der Eis nicht haftet?“

Die meisten Innovationen, die von großen Firmen realisiert werden, kommen von Universitäten und Forschungsinstituten, nicht von unabhängigen Erfindern, wie sie zum Beispiel auf der Erfindermesse Iena in Nürnberg zu finden sind. Praktische Kleinigkeiten indes starten immer mal wieder von der Iena: Schwimmflügel für Kinder, sich wieder aufrollende Hundeleinen, Inline-Skates und Koffer mit Rollen waren in früheren Jahren Messeneuheiten. Die meisten Erfindungen kommen allerdings nie in die Läden.

Dass so wenige Hausfrauen Erfindungen schützen lassen, liegt vielleicht an dem Vorurteil, nur „geniale“ Lösungen könnten angemeldet werden. Das DPMA betont dagegen: „Auch kleinere Verbesserungen können schutzwürdig sein.“ Viele Erfinder allerdings überschätzen auch die Bedeutung ihrer Patente, erläutert der Freiburger Patentvermarkter Tobias Krebs. Ein häufiger Fehler der Tüftler: „Die Entwicklung eines Prototyps macht nur 25 Prozent des Erfolgs aus“ – die Hauptarbeit der Markteinführung komme dann erst noch.

Viele Erfinder seien so auf ihre Ideen fixiert, dass sie für Verbesserungsvorschläge unzugänglich seien. Ihre Erfolglosigkeit führe zu Frust, der wiederum zu einer „gewissen Aggressivität“, wodurch erfolgreiche Verkaufsverhandlungen erst recht verhindert würden. „Von hundert Ideen schaffen es vielleicht zwei, und dann ist man gut.“ Auf keinen Fall sollten daher Erfinder Haus und Hof verkaufen und eigenes Geld investieren: Die Kapitalbeschaffung sei nicht der wichtigste Punkt, wenn man einen guten Businessplan vorlegen könne. Tüftler sind eigensinnig: Von den rund dreißigtausend deutschen Erfindern informiere sich nur eine kleine Minderheit auf der Iena oder bei den diversen Instiberatungsstellen: „Sie machen einfach drauflos und fallen dabei voll auf die Nase.“

Die Erfinderschüler in Fürstenzell lassen sich von solchen Aussichten nicht bremsen. 1999 erfanden sie unter anderem Einhandwundpflaster, Bewegungstrainer für Bettlägrige und Bänderwickelgeräte für Krankenhäuser – alles zum Patent angemeldet und auf der letzten Iena professionell präsentiert. „Dass wir Kinder sind, spielt keine Rolle“, findet der dreizehnjährige Christoph Häckl, „die Leute sehen doch selbst, dass man unsere Sachen gut vermarkten kann.“ Und sein Mitschüler Fritz Bauhuber erklärt: „Erfinden geht ganz einfach. Man schaut, was man noch nicht hat, was man braucht – und dann erfindet man das halt.“

Martin Ebner ist Historiker und lebt in Berlin. Zuletzt schrieb er im taz.mag über die Kunstsprache Esperanto