Sprachheil-Pädagogik ist „Tafelsilber“

■ Sprachheilschule Thomas-Mann-Straße soll geschlossen und das Gebäude verscherbelt werden / Bundesweiter Protest der Sprachheilpädagogen gegen Bremer Spar-Reform-Modell

„Eine peinliche Sache“ droht für den Präsidenten der Kultusminis-terkonferenz (KMK), den Bremer Bildungssenator Willi Lemke. So jedenfalls sieht es der Vorsitzende der „Deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik“, der Berliner Professor Gerhard Homburg. Die Gesellschaft lädt am 7. März zu einer Fachtagung in Bremen, um das Schlimmste zu verhindern: „Das Bremer Konzept (der Reform der Grundschule, d. Red.) sieht sprachtherapeutischen Unterricht nicht mehr vor. Kein anderes Bundesland erlaubt sich einen derartigen strukturellen Kahlschlag.“

Das Problem: In jedem Einschulungsjahrgang befinden sich etwa 60 Kinder mit einem spezifischen sprachheilpädagogischen Förderbedarf.“ Früher gab es dafür besondere „Sprachheilschulen“, in denen diesen Kindern in besonders kleinen Klassen mit besonders ausgebildeten Lehrkräften geholfen wurde.

In Bremen gilt es seit Anfang der 90er Jahre als Reformziel, diese Einrichtungen abzuschaffen, alle Kinder sollen in der Grundschule unterrichtet werden. Förder-Unterricht kommt dann von sog. „Förderzentren“ in die Grundschule. Anfang Februar hat eine Sitzung der „Sprachheilbeauftragten“ an den Bremer Förderzen-tren stattgefunden, bei der Bilanz gezogen wurde. „an der überwiegenden Zahl der Grundschu-len so das Fazit, klappt die Integration nicht, die Lehrkräfte werden mit den zusätzlichen Problemen allein-gelassen und können keine Rücksicht nehmen – „ein solcher Unterricht führt sprachbehinderte Kinder mit großer Sicherheit in Lese-, Schreib- und Schulversagen.“ Das Schulgebäude an der Thomas-Mann-Straße, über dessen Verkauf derzeit verhandelt wird, ist der letzte Ort in Bremen, an dem es noch sieben besondere „sprachheilpädagogische“ Klassen gibt. „Für in der Schule gescheiterte Sprachbehinderte ist es letztlich egal, ob ihre Lehrer ratlos sind bei schlechtem Gewissen oder ratlos sind, weil für Rat nicht erreichbar“, schreibt Prof. Homburg.

Peter Puppe, stellvertretender Leiter der letzten Sprachheilschule, hat am Anfang bei der Reform in Bremen-Nord mitgemacht und ist nun mehr als skeptisch: „In den nächsten zehn Jahren kriegen wir das Geld nicht, um die sprachbehinderten Kinder an allen Schulen fördern zu können“, sagt er. Der „Optimismus ist auf null gesunken“. Er plädiert dafür, „das Modell sofort zu stoppen“. In der Theorie sei man davon ausgegangen, dass sprachauffällige Kinder ansonsten in „normalen“ Klassen normal mitmachen könnten, weil sie „normale Intelligenz“ hätten. In der Praxis habe sich herausgestellt, dass die Sprachstörungen oft nur Hinweise auf umfassende Probleme sind, die diese Kinder aus ihren Elternhäusern mitbringen würden.

Prof. Homburg von der Deutschen Gesellschaft für Sprachpädagogik hat die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, den KMK-Präsidenten mit guten Argumenten zu erreichen. Früher habe es aus der Bildungsbehörde „nur dumme Sprüche“ gegeben nach dem Motto: „Die Kinder brauchen nur das Vorbild der anderen Kinder“, sagt er. Unter Willi Lemke sei das anders geworden, der neue Senator habe die Schule Thomas-Mann-Straße sogar einmal besucht, sich selbst ein Bild gemacht und interessiert nachgefragt. Dieser politische Stil „unterscheidet sich wohltuend von früheren“.

Auch für Ulrike Hövelmann, die Bildungsexpertin der SPD-Fraktion, ist noch nicht entschieden, ob wirklich von der Sprachheilschule nur ein Beratungsangebot übrig bleibt oder vielleicht nicht doch einzelne Klassen für besonderes förderbedürftige Kinder, die an normalen Grundschulen unterzugehen drohen. Am 16. März soll die Bildungsdeputation über die Lage beraten. K.W.