„Wir langweilen mit unserer Strukturdebatte“

Sie gilt als Favoritin für einen der beiden Parteisprecherposten: Berlins grüne Fraktionschefin Renate Künast. Und sie redet auch schon so

taz: Die Grünen verlieren nach wie vor eine Wahl nach der anderen, die Partei streitet, und jetzt ist auch noch Vorstandssprecherin Gunda Röstel ausgestiegen. In welchem Zustand sehen Sie Ihre Partei?

Renate Künast: Zwischen Baum und Borke. Wir haben eine Menge durchaus guter Ideen und Konzepte. Nur wir nutzen kaum eine der Chancen, die gewissermaßen auf der Straße liegen. Wir haben es geschafft, dass wir parallel zu den Spendenskandalen der anderen Parteien und den großen Zukunftssorgen, die vor allem junge Menschen haben, die Partei selbst und die Öffentlichkeit langweilen mit unserer Strukturdebatte.

Woher nehmen Sie den Mut, die Partei in diesem Zustand zu übernehmen?

Es gibt da nichts zu „übernehmen“. Das unterscheidet uns gerade von anderen Parteien. Das Motiv meiner Kandidatur ist, dass es dringend Zeit wird, grüne Inhalte wieder in den Vordergrund zu stellen und positiv zu transportieren. Da gibt es von der Energiewende bis zur Geschlechtergerechtigkeit so viele Punkte, und alles ist ungenutzt. Außerdem geht es mir wie vielen Grünen. Mir ist die Partei nach 20 Jahren sehr ans Herz gewachsen, da darf man nicht zulassen, dass sie in alle Richtungen auseinander driftet.

Was wollen Sie anders machen als Gunda Röstel?

Da müsste ich eine ganze taz-Seite kriegen, um das beantworten zu können. Erst mal geht es um die Frage des Bundesparteitages und dass wir den gemeinsam zu einem positiven Ende bringen. Ansonsten geht es darum, wieder eine Vordenkerrolle in der Gesellschaft zu übernehmen. Die Partei muss sich wieder mit den eigenen Inhalten identifizieren und erst zweitrangig mit der Regierung. Das wird die Leitlinie sein.

Aber erst einmal muss der grüne Parteitag zustimmen, dass die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben wird.

Mir geht die totale Verkürzung auf die Strukturdebatte auf den Nerv. Ob die durchkommt, sehen wir. Wir werden uns dafür einsetzen. Aber der Parteitag hat weitere wichtige Punkte: etwa den Ausstieg. Das ist grüne Identität.

Wieso konnten die Grünen nicht von den Skandalen der großen Parteien profitieren?

Einmal gewinnt man nicht automatisch durch das Leid oder die Skandale anderer. Man gewinnt aus eigener Kraft. Und da ist einiges verbesserungsfähig, angefangen bei der Zusammenarbeit zwischen Ministern, Fraktion und Partei.

Aber hätten die Grünen nicht mehr zu dem Skandal sagen können?

Es ist wirklich ein Teil des Problems, das wir zur Zeit haben. Wir haben nicht hinreichend versucht, dabei die Speerspitze zu sein, nicht nur bei der Aufklärung, auch bei der Frage nach den Konsequenzen. Da waren wir einfach nicht vorne. Auf dem Parteitag wird die Diskussion geführt werden. Ein Antrag liegt vor. Aber es stimmt, das ist in Wahrheit viel zu spät.

Wie wollen Sie sich neben dem heimlichen Parteichef Joschka Fischer behaupten? Röstel und Radcke ist das schließlich nicht gelungen.

Was heißt neben? Der Punkt ist, dass die Partei eine Spitze wählt, von der sie sagt, das sind die, die die Partei führen. Joschka Fischer ist Außenminister, aber nicht Parteivorsitzender. Ich glaube, dass die Partei an einem Punkt ist, wo sie sagt, dass sie diese informellen Entscheidungen und Machtzentren nicht will. Ich glaube, dass die Partei klug genug ist zu sagen: Wer immer es wird, das sind unsere gewählten VertreterInnen.

Die CDU wirkt immer bunter, gibt sich geradezu basidemokraisch. Die Grünen wirken dagegen immer mehr wie eine ganz normale Partei. Macht Ihnen das Sorgen?

Es ist natürlich in einer Zeit der Skandale und der Ämterhäufung bei der CDU schwieriger, über andere Strukturen bei uns nachzudenken. Aber so weit sinke ich nicht, dass ich uns mit der CDU vergleichen lasse. Das ist das bunte Bild einer hierarchischen Partei. Da darf man sich nicht durch PR-Aktionen blenden lassen. Und bei uns ist es Gott oder Göttin sei Dank noch nie so gewesen, dass ein Mufti oben beschließt, was die Basis fröhlich absegnet.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF