Pop-Müzik für Berlinli Türkler

Der erste türkischsprachige Radiosender außerhalb der Türkei, Metropol FM, will in Berlin das Zusammenwachsen der Einwanderer mit ihrer Stadt fördern. Seit acht Monaten ist das Programm auf Sendung und findet mit seiner Mischung aus Lokal-Nachrichten und Musik viel Anklang

von KATHARINA BORN

Mutter Kuskonmaz schrubbt den Boden und singt dabei lauthals ein Lied für den Propheten – einen echten Ramadan-Hit, wie er täglich auf dem türkischen Sender Metropol FM gespielt wird. Tochter Hülya kontert mit einem anderen Superhit des Turkish-Pop: „Neremi, Neremi, wo willst du mich berühren“, singt sie lasziv – bis die Mutter mit dem Wischmopp fuchtelt: „Ich weiß schon, wo ich dich berühren werde! Ich breche dir alle Knochen!“

Die Familie Kuskonmaz hat für Radyo Metropol FM ungefähr die Bedeutung wie die Lindenstraße für die ARD: die tägliche Hörfunk-Comedy über eine typische anatolischen Familie des Berliner Bezirks Wedding. Ihr Erfinder, Metropol-Morgenmoderator und „Vater Kuskonmaz“, der 39-jährige Nizam Namidar, zielt mit der Comedy-Serie über Generations- und Integrationsprobleme genau auf sein Publikum: die Berliner Türken von 18 bis 50 Jahren.

Radyo 94,8 Metropol FM ist der bisher einzige türkischsprachige Sender außerhalb der Türkei, und „bizim dalga“, „unsere Welle“, sendet rund um die Uhr. Zunächst gab es kritische Stimmen, ob sich der Privatsender als Werbeträger für die etwa fünfeinhalb tausend türkischen Unternehmen mit insgesamt 5 Milliarden Mark Umsatz überhaupt halten könne.

Doch acht Monate nach Sendestart Anfang Juni 1999 geht das Konzept voll auf: Über 70 Prozent der um die 170.000 türkischsprachigen Bewohner Berlins und des Umlands hören den Sender regelmäßig. Das sind durchschnittlich 35.000 Hörer pro Stunde – rund 5.000 mehr als nötig, um den Sender rentabel zu machen. Schon in drei Jahren erwarten die Gesellschafter Gewinn. Das Geschäft mit den Werbeeinnahmen, auch durch größere Unternehmen wie Yellow, Telekom und Ege-Bank, läuft bereits.

Der erste Werbespruch lautete noch lapidar „24 Stunden türkisches Radio“. Heute arbeitet man darauf hin, mit Beratungssendungen Profil zu zeigen – es soll um deutsch-türkische Themen wie Staatsbürgerschaftsrecht und Wehrdienst gehen, aber auch einfach darum, wie man mit einem türkischen Pass in Berlin einen Videothekausweis bekommt.

Vor allem aber bringt der Sender viele Meldungen zu Wetter und Verkehr. Aktionen und Wunschsendungen sind bereits sehr beliebt. Mit eigenen Wortbeiträgen kommen die vier festen und etwa vier freien Redakteure bisher noch kaum hinterher. Obwohl vor allem der starke Lokalbezug der Berichte als wichtig erachtet wird. Denn es soll ein Sender „für Türken als Teil dieser Gesellschaft“ sein, wie Moderator Nizam es formuliert, damit sie „sich hier in Deutschland besser zurechtfinden“.

Popmusik, Arabesk, Folklore und Balladen – die Metropol-Hitparade findet eher Hörer unter der 1. und 2. Generation der Einwanderer. Der angestrebte Kompromiss zwischen der 2. und 3. Generation funktioniert bisher kaum. Viele der jungen Hörer sind bereits wieder abgesprungen, weil ihnen die Musik zu verstaubt ist.

Die Mittagsmoderatorin Asli Erman lässt elegant ihre Hände tanzen, zwischendurch plappert sie gut gelaunt über das Wetter. „Wir versuchen kein besonders intellektuelles oder integratives Radio zu machen“, sagt Programmleiter Akin Duyar, 30: „Der Lokal-Bezug wirkt im Endeffekt viel integrativer.“

Türken in Deutschland informieren sich meist über Satellitenfernsehen. „Mit der türkischen Perspektive können sie hier nicht viel anfangen“, sagt Duyar. Auch die deutschen Medien hält er für oberflächlich. „Immer entweder Kopftuch oder Assimilation – das wird Menschen nicht gerecht, die zum Teil seit drei Generationen hier leben.“

Das Sendekonzept von Metropol erhielt wegen seines Vielfältigkeitsbeitrags den Vorzug der Landesmedienanstalt unter 27 anderen Frequenzbewerbern. „Manche Leute glauben, Integration erübrigt eigene Medien“, sagt Duyar. „Aber warum sollte man seine Kultur aufgeben? Kein Deutscher würde doch nach 30 Jahren in Afrika sagen, jetzt bin ich kein Deutscher mehr.“ Wenn Metropol während des Ramadans täglich das Gebet zum Fastenbrechen sendet, so hat es eher romantische als religiöse Bedeutung. „Der Muezzin erinnert die Leute an Urlaub in der Türkei“, meint Duyar.

Im großen Redaktionsraum läuft tonlos türkisches Fernsehen, auf den Tischen stapeln sich Meldungen der deutschen und türkischen Agenturen. Die Nachrichten sind nach einem strengen Schema von Lokal-Deutsch-Türkisch bis International-Vermischtes geordnet.

Bei Themen wie der Anklage gegen den PKK-Führer Öcalan begibt man sich schon mit Neutralität auf Glatteis bei einer Hörerschaft, die nicht nur 50.000 Kurden in Berlin, sondern auch zahllose türkische Verbände einschließt. Während die meisten türkischen Medien von dem „blutrünstigen Babymörder“ sprechen, berichtet Metropol stur vom „angeklagten PKK-Führer Öcalan“. Zuerst ratterten wütende Faxe herein, die Redaktion solle Meinung bekennen.

„Erst jetzt haben sie sich dran gewöhnt, dass wir weder den Verein der Kemalisten noch die türkische Kommunistische Partei unterstützen“, sagt Nizam. Aber der Morgenmoderator kann noch immer kaum Witze über Dialekte oder Politiker machen, ohne dass sich jemand beschwert. „Die verstehen nicht, wie man das Eigene kritisieren kann“, sagt Nizam. Und Station-Manager Duyar ergänzt: „Wir bemühen uns, eher professionell zu sein als provokativ.“

Professionalität war schon kurz nach dem Sendestart gefragt. Das schwere Erdbeben in der Türkei warf auch die junge Redaktion aus der Bahn. Einige Mitarbeiter hatten selbst Verwandte, die verschüttet wurden und alles verloren. Vor allem aber brauchten die Hörer ständig aktuelle Informationen.

Sofort stellte Duyar das Programm um: Drei Wochen lang lief keine Werbung. Den Wortanteil schraubte er von 25 auf 65 Prozent rauf: Life-Berichte aus der Türkei, doppelter Einsatz – ohne zusätzliche Mitarbeiter selbstverständlich.

Mit einem Benefizkonzert nahm Metropol 130.000 Mark für ein Erdbebenopferdorf ein. „Wir waren alle fix und fertig. Im ersten halben Jahr mussten wir mehr durchmachen, als andere Sender je“, meint Duyar.

Mittlerweile ist der Station-Manager viel unterwegs, um sein erfolgreiches Konzept auf Fachtagungen zu präsentieren. Wenn es weiter so gut läuft, sollen auch in anderen Ballungsräumen türkischsprachiger Bevölkerung Sender wie Metropol entstehen.

Vielleicht können auch die weiteren Sender von einem Talent wie Nizam Namidar profitieren. Der schlug sich vor seiner Radiozeit als Stand-up-Komiker am türkischen Amateurtheater durch, als der Station-Manager, Akin Duyar ihn für „Günaydin Berlin“, die Guten-Morgen-Show, entdeckte.

Nizam lebt schon seit 20 Jahren in Berlin und weiß, was sein Publikum hören will: „Die Leute leben mit türkischer Musik“, sagt Nizam. „Sie schenken sich auch gegenseitig Wunschlieder, um ihre Namen im Radio zu hören, das ist Kommunikation durch Musik.“

Einmal pro Woche produziert Unterhaltungschef Nizam die neuen Folgen seiner Comedy-Serie „Familie Kuskonmaz“. Und auch eine Nachfolgeserie hat er schon in Planung: Ein Straßenfeger mit Berliner Schnauze und ein anatolischer Dönerverkäufer sollen sich über Aktuelles im deutsch-türkischen Wedding streiten.