Proteste in Kroatien

Auslöser ist ein Urteil des UN-Tribunals in Den Haag

WIEN taz ■ Seit Tagen kommt es in Kroatien zu Demonstrationen gegen das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und die „US-Vorherrschaft in Europa“. Immer wieder protestieren einige tausend Kroaten und skandieren vor US-Kultureinrichtungen oder UNO-Vertretungen Parolen wie „Nieder mit dem US-Hegemonismus auf dem Balkan!“ oder „Ende der Bevormundung durch die UNO!“ Zum schwersten Zwischenfall kam es am Mittwoch in der bosnisch-herzegowinischen Stadt Kiseljak. Dort nahmen aufgebrachte Kroaten die zweitägige Balkanrundreise von US-Außenministerin Madeleine Albright zum Anlass, ihrem Unmut über die angeblich „antikroatische Haltung der Amerikaner“ freien Lauf zu lassen. Amerikanische Fahnen wurden verbrannt und Albright als „jüdische Hexe“ beschimpft. Um die Stimmung nicht aufzuladen, machte die US-Diplomatin einen weiten Bogen um die mehrheitlich kroatisch besiedelten Regionen der Herzegowina und beschränkte ihren Besuch auf Sarajevo, Brčko und Banja Luka.

Hintergrund der Proteste ist die Verurteilung des kroatischen Generals Tihomir Blaskić zu 45 Jahren Haft am vergangenen Freitag in Den Haag. Die Uno-Richter sahen es als erwiesen an, dass Blaskić während des kroatisch-bosnischen Krieges die „Operation Lasva-Tal“ in Zentralbosnien geleitet hatte und für das Massaker im April 1993 an 123 Kindern, Frauen und alten Männern im Dorf Ahmici verantwortlich war. Viele Kroaten glauben bis heute, die Vorwürfe des UNO-Tribunals seien böswillige Unterstellungen „kroatienfeindlicher Kreise“ im Westen und Blaskić ein Held, der die Heimat gegen muslimische und serbische Extremisten verteidigt habe.

So schreiben es noch immer die Zeitungen. Demnach versuchten vor allem die Amerikaner allen Volksgruppen gleichermaßen die Schuld an der blutigen Auflösung Jugoslawiens zuzuweisen. Deshalb, so die gängige Volksmeinung, würde auch den Kroaten manches Verbrechen angelastet, das diese nicht begangen hätten – etwa Ahmici.

Selbst Kroatiens Präsident Stipe Mesić erntete Hohn, als er kurz nach seinem Amtsantritt erklärte, er schäme sich der Gräueltaten der kroatischen Armee und werde sich vor den Opfern von Ahmici verbeugen. Mesić wird in der kommenden Woche in Sarajevo erwartet. KARL GERSUNY