„Liebe taz...“ Pokal: Werderaktie voll abgestürzt

Betr.: Werder-Kartenverkauf für das Pokalendspiel in Berlin am 06. Mai 2000

Am Sonnabend, 11. März 2000, haben am Weserstadion vor den Kassenhäuschen tausende Dauerkarteninhaber angestanden, um eine begehrte Eintrittskarte für das Pokalfinale in Berlin zu ergattern. Ihr erinnert Euch, im letzten Jahr hat unsere ruhmreiche Mannschaft die Geldbeutel aus Bayern nach nervenaufreibendem Elfmeterschießen besiegt. Lothar Matthäus verschoß den entscheidenden Elfmeter und muss deshalb leider nun in Amerika kicken. Aber ich will nicht abschweifen. Wir waren letztes Jahr mit einer netten Unterstützertruppe in Berlin (Karte 110 Mark, aber man gönnt sich ja sonst nichts) und wollten dieses Jahr wieder hin. Also stellt sich unser Einkaufstrio früh gegen 8.30 Uhr an die Kasse für 90-Mark-Karten, das waren die Teuersten, aber man gönnt sich ... ihr wisst schon. Vor uns ganz wenige, hinter uns ganz viele. Das muss klappen, im letzten Jahr waren wir weiter hinten.

Um 12 macht die Kasse auf, um 12.20 Uhr, vielleicht sogar eher, macht sie wieder dicht. Ganze sieben Kunden bedient. Angeblich nur 200 Karten da. Da jeder Käufer nur 20 Karten erhalten durfte, muss sich jemand im Kassenhäuschen wohl verzählt haben. Hunderte von Anstehenden stinksauer, ohne Chance noch an den anderen Kassen fündig zu werden, die waren nämlich auch schnell dicht.

Was stellt sich nach vielen Recherchen heraus? Der Verein hat die Karten der noch gehobeneren Klasse erst gar nicht in den Vorverkauf gebracht. Die wurden an die Top-Sponsoren, an die Logeninhaber, an VIPs, an Vorstand, Aufsichtsrat und an die Spieler verteilt. Auch ein nicht ganz unbekannter Torwarttrainer des Vereins bot zwei Tage später in seinem Reiseunternehmen Karten auch der höheren Kategorie an. Selbstverständlich mit Busaufschlag. Hier wurde also belohnt und verdient, wer eh schon auf einfachen Lohn und Verdienst nicht angewiesen ist. So geht's eben zu in der freien Marktwirtschaft. Das wissen wir und darüber empört sich unser Fan-Clan nicht wirklich, aber doch ein bisschen.

Echt sauer sind wir jedoch darüber, dass das Werder-Kartenverkaufsmanagement nicht in der Lage wahr, den Wartenden die harte „Kartenwahrheit“ ins Gesicht zu sagen. Mindestens 4.000 Warte- und Anstehstunden (1.000 a vier Stunden) hätten sinnvoll zur Erhöhung des Bruttosozialproduktes genutzt werden können. Kann man bei Werder kein Plakat schreiben: „90 Mark-Karten: nur 200 Stück“? Kann man nicht in ein Megaphon husten: „Hallo Leute, wirklich schade ey, aber nix teure Karten da für Euch, geht mal auf die einfachen Plätze des Proletariats, unterstützt die Ostkurvenfans in Berlin“?

Aber da hatte man wohl ein wenig Schiss vor der eigenen Courage, dem Intellektuellen- und Facharbeitergesindel der Südtribüne und drumherum, den gefüllten Mittelstandsbörsianern zu sagen: ihr kriegt keine Infineon-Aktien und auch keine Karten für's Pokalendspiel. Holt sie Euch auf dem Schwarzmarkt oder kauft die Werte sonstwo überteuert.

Also, bei unserer Fan-Group ist die Werder-Vorstands- und Vorzugsaktie voll abgestürzt. Unter Willi Lemke hätt's das nicht gegeben. Wollen wir mal hoffen, dass er seine Aufsichtsratsverantwortung bei Werder ernst nimmt und dem Karten-Marketing dort so in den Hintern tritt, dass es müllert.

Sonst heißt es nächstes Jahr vielleicht: keine verlässliche Versorgung unsere Kinder in der Schule und keine Pokalfinalkarten für unsere Erwachsenen. Wofür soll man dann noch BremerIn sein?

Jutta Schöpp und 26 Werder-Fans der Filz-Tip-Runde