Die Kugel läuft nur unrund

Sportkegeln ist Leistungssport, betonen die Kugelroller des SV Semper Berlin. Doch dem Zweitligisten fehlt es nicht nur an Leistung, sondern auch an Zuschüssen, Zuschauern und Nachwuchs. Nun droht der Abstieg in die Landesliga

Wer hat sie nicht schon einmal erlebt: wochenend- wie biertrunkene Kegelbrüder, die auf der Flucht vor dem Alltag das gesamte Großraumabteil eines Zuges nicht zur Ruhe kommen lassen. Sie haben allerdings nicht viel mit Sportkegeln in der Sektion Classic zu tun.

„Sportkegeln ist Leistungssport. Die wissen gar nicht, wie wir hier ackern“, wehrt sich Thomas Prill vom Zweitligisten SV Semper Berlin gegen vordergründige Vergleiche. In der zweiten Bundesliga-Ost warf er mit seinem sechsköpfigen Team am Samstag insgesamt schweißtreibende 1.200 Kugeln in Richtung Pins, im Halbminutentakt eine Kugel gegen den Abstieg. Die Spielvorbereitungen im Anhalter Kegelcenter beschränkten sich deshalb nicht nur auf ein deftiges Mittagessen. Hier waren ausführliche Dehnübungen und simulierendes Luftkegeln gefragt, um für das anstehende Fließbandwerfen des Tabellenletzten gegen den bereits feststehedne Liga-Ersten SV Carl Zeiss Jena aufzuwärmen.

Noch im letzten Jahr herrschte Aufbruchstimmung bei den Berliner Kegelbrüdern. Doch beim damaligen Debüt in der ersten Bundesliga konnte sich der SV Semper nicht halten. Und nun steht der Verein in der Zweiten sogar vor der Durchreiche zur Landesliga.

Der sofortige Abstieg aus der höchsten Kegelklasse, ausgerechnet zum fünfzigjährigen Vereinsjubiläum, ließ das Team auseinanderbrechen. Ein Stammspieler beendete seine Laufbahn, drei weitere Leistungsträger wechselten zu einem lukrativeren Klub. Denn in der zweiten Liga bleiben die Zuschüsse des Senats aus. Im Erstligajahr konnte der Traditionsverein mit einem Saisonetat von ungefähr 25.000 Mark wenigstens die Fahrtkosten zu den meist süddeutschen Kegelgegnern kompensieren. Doch heute ist weit und breit kein betuchter Mäzen in Sicht: „Sportkegeln ist eben keine Trendsportart“, seufzt Thomas Prill. Feste Zuschauertribünen sind in Deutschland immer noch die absolute Ausnahme.

In die Schlagzeilen der Lokalpresse gelangt man höchstens kurzzeitig durch den Gewinn einer Deutschen Meisterschaft. Um sich intensiver um Sponsoren zu kümmern und das Medieninteresse zu steigern, will sich die Sektion Classic deshalb vom Deutschen Keglerbund (DKB) loseisen. Die imagefördernde Umbenennung der vorherigen Sektion Asphalt war ein erster Schritt, obwohl sich der neue Begriff selbst bei den Aktiven noch nicht durchgesetzt hat.

Auch mit dem Nachwuchs sieht es schwierig aus. Meistens kommt er aus traditionellen Keglerfamilien, Quereinsteiger gibt es bei dem vielfältigen Angebot modernerer Freizeitsportarten kaum. Höchstens die kommerziellen Bowlingcenter nach amerikanischem Vorbild schaffen es, das Vorurteil vom gutbürgerlichen Kegelbruder in miefigen Kneipenkellern abzuschütteln.

So hat sich die Zahl der sportkegelnden Vereinsmitglieder in ganz Berlin innerhalb von nur drei Jahren bis heute auf cirka 1.900 fast halbiert. Damit der polnische Nationalspieler Krzysztof Kaminski in der zweiten Liga trotzdem für Semper auflief, organisierten seine Vereinskollegen extra ein Tippspiel zu seinen Gunsten. Bis heute bleibt Kaminskis beste Heimleistung mit 951 Holz zwar auch der beste Einzeldurchgang eines Semperers, er selbst aber ist bereits weg. Mitten in der Saison zog es ihn zum Erstligisten SV Geiseltal-Mücheln.

Nicht nur die sportliche Zukunft des Klubs ist ungewiss. Nachdem seine Wettkampfstätte in Kreuzberg, die mit 41 Bahnen wohl größte Kegelhalle Europas, durch Bürogebäude ersetzt wurde, läuft Ende 2000 auch der gegenwärtige Pachtvertrag aus. Wieder steht ein Abriss zur Debatte.

Leider auch am Samstag hat „der Berliner Bär zwar gebissen, aber nicht gefressen“, wie Thomas Prill zusammenfasst. Das wichtige Heimspiel ging mit 5.132 zu 5.188 Holz knapp verloren. Die beliebteste Anfeuerung des Tages bewahrheitete sich dennoch: „Die Sonne scheint durchs Kellerloch: einen ham’ wir noch.“ An den letzten Strohhalm klammernd trifft sich Semper Berlin nun in 14 Tagen auf neutraler Bahn zum Relegationsspiel mit dem punktgleichen Konkurrenten SV Post Sangerhausen.GERD DEMBOWSKI