Zeitsprünge mit Wim Wenders

Was wir sehen, blickt uns an: Isabell Heimerdinger experimentiert in der Galerie Mehdi Chouakri mit Filmstills

Die Künstler arbeiten hart. Das Jahr zählt gerade mal siebzig Tage, da präsentiert die Galerie Mehdi Chouakri in der Gipsstraße fünf Arbeiten von Isabell Heimerdinger, die alle datiert sind auf die schöne und immer noch gewöhnungsbedürftige Jahreszahl 2000.

Gezeigt werden Videoinstallationen und Aufnahmen einer neuen „Interior Serie“ mit Filmstills aus japanischen Streifen der Fünfzigerjahre. Isabell Heimerdinger hat Sequenzen ausgewählt, in denen gerade keine Akteure zu sehen sind, nur Innenraum.

Der japanische Regisseur Ozu, dessen Filmen die Stills entnommen wurden, hat Interieurs nicht realistisch, sondern sichtlich aus Kulissen aufgebaut und ineinander geschoben – durch die Gleichzeitigkeit von Tiefe und bedrängender Umschließung werden sie zu verschachtelten Binnenräumen. Er bezieht sich auf eine Bildtradition, in der das Interieur förmlich nach dem Eindringling verlangt, der das Verborgene aufstöbern und das Innenleben erkunden soll – die Tapetentür etwa fungiert als Repoussierkulisse wie der Vorhang als Standardelement der traditionellen Interieurmalerei.

Vor zwei Jahren waren von Isabell Heimerdinger ähnliche Interieurs aus Hollywood-Produktionen in der Galerie Mehdi Chouakri zu sehen. Nun untersucht sie die amerikanischen Innenräume aber nicht mehr mit dem analytischen Blick von David Lynch oder Stanley Kubrick, auf deren Werke sie damals zurückgriff, sondern gibt ihren Aufnahmen etwas Verklärt-Nostalgisches. Die Filmstills, die immer auch ihre zeitliche Verflüchtigung vergegenwärtigen, werden in der Reproduktion körnig, ihre perfiden Pastelltöne machen sie für das Wohnzimmer kompatibel.

Zudem sind in der Ausstellung die elementaren Voraussetzungen der filmischen Inszenierung getrennt behandelt: hier die Bühne, dort die Darsteller. In Frage steht dabei die Rolle des Betrachters als drittes konstitutives Element. Mit der Installation „Alice“ widmet sich Heimerdinger dem Schauspieler, der, aus dem Raum gelöst, vor neutralem Hintergrund gefilmt ist.

Eine etwa lebensgroße Videoprojektion zeigt Rüdiger Vogeler, wie er Wim Wenders’ Film „Alice in den Städten“ anschaut, in dessen Hauptrolle er bekannt wurde. Der Film, den er sieht, ist als Spiegelung in seinen Reaktionen präsent. Zugleich steht an der gegenüberliegenden Wand ein Fernseher, auf dem synchron das Original von 1974 läuft.

Dabei schaut Vogeler aber gar nicht in diese Richtung. Trotzdem schaut auch der Monitor, der auf einem weiß lackierten Sockel in Augenhöhe postiert ist, dem heute um über zwei Jahrzehnte älteren Schauspieler gleichsam zu.

Während der eigene Film Vogeler selbst wieder zu Reaktionen veranlasst, ist für den Galeriebesucher die Spannung, in der der Film von einst vergegenwärtigt wird, als Dialektik von Präsentation und Entzug, nicht erlebbar. Isabell Heimerdinger unternimmt den Versuch einer Verschiebung vom stumm-gegenwärtigem Objekt hin zu der Theatralität einer Szene, einer Situation – aber diese findet einfach nicht statt.

Die Installation handelt zwar vom Prozess des Sehens, doch sie macht die ästhetische Erfahrung nicht zum eigenen konstitutiven Strukturmoment: Sie bezieht den Betrachter nicht ein. Die Arbeit ist bereits getan.

CAROLINE WESENBERG

Noch bis zum 25. März., Dienstag bis Samstag von 11 bis 18 Uhr, Galerie Mehdi Chouakri, Gipsstraße 11, Mitte