geschichten, die ich eben schrieb. VII: die schöne mit dem schmollmund
von JOACHIM FRISCH
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In Russland waren seit jeher die Nächte kalt, die Menschen roh, die Suppentöpfe voller Wasser und die Wassergläser voller Wodka. Seit Menschengedenken litt das russische Volk unter bösen Zaren, menschenverachtenden Kommunisten, verschimmeltem Brot und gepanschtem Alkohol. Menschen wurden wie Hunde behandelt, Hunde wie Schweine und Schweine wie Würste.

Grausame Banditen zerrten Bären an Eisenringen, die sie ihnen durch die Nasenschleimhäute gestochen hatten, und führten sie schaulustigen Gaffern vor. Vor Schmerzen brüllend hüpften die Bären von einer Hinterpfote auf die andere, die Schurken spielten dazu Akkordeon, nannten den Schmerzenskampf Bärentanz und ließen sich das schurkische Schauspiel mit Goldmünzen vergelten. Andere Galgenstricke hetzten zu blutrünstigen Bestien abgerichtete Hunde aufeinander, bis sie sich mit ihren von Feilen geschärften Zähnen gegenseitig totbissen. So kannte die Welt den Russen: rau, aber herzlos.

Da begab es sich, dass in einem fernen Land eine wunderschöne Frau mit dem schönsten Schmollmund der Welt von den grausamen Sitten der Russen hörte und vor Gram erblondete. Sie beschloss, ihr Leben und ihre Schönheit dem Kampf für die Rechte der Tiere zu widmen. Wie es die Fügung wollte, übernahm just zu dieser Zeit in Russland ein neuer Herrscher das Zepter, der selbst einen kleinen, süßen Pinscher seinen Gefährten nannte. Seine Freunde nannten den neuen Herren wegen seiner Liebe zu bepelzten und gefiederten Tieren „Putin“, „Gefährten des Truthahns“. Selbst seine Feinde respektierten ihn wegen der in Russland seltenen Gabe, dem Wodka zu widerstehen.

Das Mädchen mit dem Schmollmund nahm nun all seinen Mut zusammen, trat stolz vor den mächtigen neuen Herrn hin und sagte: „Gebietet Einhalt, o Herr, dem unmenschlichen Schauspiel der Hundekämpfe und Bärentänze. Es schreit zum Himmel und ist eines gerechten Herrschers wie euch nicht würdig.“ Da traten dem mächtigen Herren und Herrchen des Pinschers Tränen der Rührung in die Augen. Wie alle Russen hatte auch er nahe am Wasser gebaut. Er versprach der schönen Frau mit dem großen Schmollmund, trotz der gigantischen Probleme in seinem riesigen Reich sich bald des sympathischen Anliegens anzunehmen.

So ließ er nur noch schnell das Volk der Tschetschenen massakrieren, ein paar hundert Dissidenten einkerkern und einige renitente Bergvölker niedermetzeln, dann sprach er ein Machtwort und verbot nicht nur Bärentänze und Hundekämpfe, sondern, der schönen Frau mit dem Schmollmund sehr zum Gefallen, auch noch Ochsen boxen, Frösche aufblasen, Fliegen Flügel ausreißen, Hamster köcheln, Schmetterlinge zerzausen, Schlangen würgen, Katzen platt walzen und Hasen in die Luft sprengen. Die Schöne war überglücklich, nannte den Herrscher einen „sehr empfindsamen und tapferen Mann“ und wünschte ihm ein langes Leben. Ihr Wunsch ging in Erfüllung. In der langen Regentschaft des Herrschers Putin wurde zwar noch so manches kaukasische Völkchen ausgerottet, doch keinem Tier ward mehr ein Leid angetan.