Der gute Abend im Knast

■ Kulturwerkstatt „westend“ lud zur Stadtteilshow in die JVA Oslebshausen / 100 BremerInnen stellten sich den Fragen: Wie ist Knast? Und: Was soll Knast?

Nicht „Theater für Knastis“ gab es am Sonntagabend, sondern „Knast für TheaterbesucherInnen“. 100 BremerInnen waren der Einladung der Kulturwerkstatt „wes-tend“ zur Stadtteilshow „Der gute Abend?“ in die Justizvollzugsanstalt Oslebshausen gefolgt. Der „gute Abend“ war dieses Mal mit einem Fragezeichen versehen: Organisatorin und Moderatorin Frauke Wilhelm kündigte an, es seien keine Heiterkeitsausbrüche zu erwarten. Dennoch war das ehemalige Polizeigewahrsam-Gebäude voll bis unter die Absperrgitter.

„Ein revolutionäres Ereignis“ fand ihr Kollege Hartmut Emig: „Zum ersten Mal darf eine nicht vorher ausgesuchte Öffentlichkeit in die JVA.“ „Ich wollte mal sehen, wie es im Knast aussieht, das hatte mich immer schon brennend inte-ressiert“, begründeten viele ZuschauerInnen ihren Besuch. Für die meisten dürfte die Neugier danach fürs Erste gestillt sein. „Es war informativ, aber erdrückend“ sagte einer.

Drei Stunden im Gefängnis – wenn auch in einem stillgelegten Teil – reichen fürs Erste. Den MitarbeiterInnen des „westends“ ist es gelungen, das Gefängnisleben fühlbar zu machen. Dazu tragen nicht nur die Filminterviews mit Inhaftierten bei, sondern vor allem der Veranstaltungsort. Das schmale Gebäude ist – passend zum Knast-alltag – in den Tönen Grau-in-Grau gehalten. Im oberen Stockwerk der JVA führt ein Galerie-Gang an den Zellentüren vorbei und damit niemand herunterspringen kann, ist ein Gitterboden zwischen erstem und zweitem Stock eingezogen. In der halbstündigen Pause können die kahlen Zellen besichtigt werden. Nur eine ist für Anschauungszwecke halbwegs eingerichtet, in anderen sind Gedichte und Bilder ausgestellt oder das Essen des Tages.

Die Gedichte aus zwei preisgekrönten Knastbänden sind eigentlich überflüssig. Die vollgekritzelten Wände sprechen für sich: Mitteilungen in Englisch, Französisch, Arabisch, Türkisch, Polnisch, Kroatisch. Landkarten von Albanien, die Aufstellung der rumänischen Fußballmannschaft zur WM 98, ein großer mit Bleistift gezeichneter Elefant mit der Inschrift „Sri Lankan Elephant“.

Die Filminterviews mit fünf inhaftierten Männern heitern die getrübte Stimmung nicht gerade auf, sondern fassen in Worte, was viele bei dem Rundgang durch die Zellen empfunden haben müssen: „Ich nenne das vegetativen Vollzug: Wir vegetieren vor uns hin“, beschreibt Mike sein Leben hinter Gittern. Die Interviewten malen ein ungeschöntes Bild vom Knastalltag, der hauptsächlich aus Warten besteht: aufs Essen, auf den Arbeitsbeginn, auf Besuch, auf den Tag der Freilassung. Sie erzählen, wie sie sich nach ihren Kindern sehnen, wie sie versuchen, die Zeit sinnvoll zu gestalten: mit Yoga oder der Mitarbeit an der Gefangenenzeitung „Diskus 70“.

Die Filme illustrieren das eine große Thema des Abends: So ist Knast. Dass außer Sabine Bomeier und Uschi Spitzer, die über ihre ehrenamtliche Arbeit beim „Diskus“ berichten, keine Inhaftierten anwesend sind, ist bedauerlich, nachvollziehbar und irgendwie passend. Alles ist genau wie im Fernsehen, und die Filmeinspielungen machen klar, dass wir nur zuschauen und nur bedingt nachempfinden können, was es bedeutet, eingesperrt zu sein.

Zum anderen nehmen die Interviews das zweite große Thema des Abends vorweg: die Kritik an der Effektivität und dem Sinn des geschlossenen Strafvollzugs: „Der Knast verändert nichts zum Guten. Man wird hier nur brutaler, weil Überleben das einzige Motto ist“, sagt einer. Der vertretende Anstaltsleiter Reinhard Peter bemüht sich zwar, den BesucherInnen die Vorteile der Bremer Strafvollzugs-Reform schmackhaft zu machen und führt die offensichtlichen Missverhältnisse in den Anstalten auf die knappe Mittelzuweisung zurück. Aber gegenüber den Erzählungen von Mike, Stefan, Dietmar, Matthias und Thorsten bleiben seine Worte blass – sie kommen nicht gegen den Eindruck an, der geschlossene Strafvollzug an sich sei „kafkaesk, krank und abseitig“, wie Moderator Hartmut Emig es formuliert. Er bemüht sich, dem Publikum zu vermitteln, wie wenig der Strafvollzug bewirken würde und die Probleme nur noch verschlimmere.

Leider kommt die grundsätzliche Kritik an dem erst 100 Jahre alten Strafvollzug-System erst am Ende des Abends aufs Tapet. Die wenigsten sind nach zweieinhalb Stunden noch aufnahmefähig genug, um den Argumenten des wenig überzeugenden Rechtswissenschaftlers Dr. Johannes Feest (Universität Bremen) folgen zu können. Dem fehlt jegliches Fingerspitzengefühl zum Beispiel bei Vergleichen mit der Atomindustrie: „Der Ausstieg ist ein langer Prozess“. Damit vergibt er die Chance, die Leute dafür zu sensibilisieren, dass Gefängnisse in erster Linie eine „Sicherheitsillusion“ vorspiegeln. Markige Sprüche wie „Nur weil man mal jemand umgebracht hat, stellt man ja noch keine Gefahr für andere dar“, sind ein bisschen happig für Leute, die sich möglicherweise zum ersten Mal mit dem Thema auseinandersetzen.

Dennoch war es ein „guter Abend“. Der Besuch im Knast war eine Lektion, wenn auch in einem anderen Sinne als Belunum am 28.10.1996 an seine Zellenwand geschrieben hat: „Do not worry when you are inside, here is only lesson and to be hard in mind“. Nicht zu verhärten, sondern sich dem Dialog zwischen „drinnen“ und „draußen“ zu öffnen – das wäre wünschenswert.

Eiken Bruhn