Palermo atmet durch

Die Hauptstadt Siziliens steht an der Spitze einer landesweiten Bewegung.Mehr als 150 italienische Städte praktizieren den autofreien Sonntag

Ist das noch dieselbe Stadt? Nur noch Busse verkehren auf der Via Roma, einst die Straße mit der höchsten Luftverschmutzung Italiens. Gemächlich geht es auch vor dem Hauptbahnhof zu, wo sich werktags die Blechkolonnen aus allen Himmelsrichtungen ineinanderschieben. Und auf dem zentralen Platz der Neustadt, sonst der allabendlichen Vespa-Parade vorbehalten, hat sich ein Fahrradverleih eingerichtet.

Palermo, lange ein trauriges Beispiel städtischen Niedergangs, blüht wieder auf. An 13 Sonntagen in diesem Frühjahr, vom 6. Februar bis zum 7. Mai, bleiben die Autos aus der Innenstadt ausgesperrt. Wenn Bürgermeister Leoluca Orlando seine „liebsten Palermitaner“ bittet, ihr meist schon arg verbeultes Blech für einen Tag ruhen zu lassen, geht es nicht nur um Lärm und Abgase. Die Bürger sollen sich mit ihrer Stadt wieder identifizieren – das ist Orlandos Rezept gegen Defätismus und Verfall, Gewalt und Mafia: Durchatmen statt „zero tolerance“.

Seit zwei Jahren steht die sizilianische Hauptstadt dem Verband der „Car Free Cities“ ganz Europas vor – eine Bewegung, die Italien im Laufschritt erobert hat. Mehr als 150 Kommunen, darunter fast alle Großstädte, sind einem Aufruf des grünen Umweltministers Edo Ronchi gefolgt. Nicht an 13 Wochenenden wie in Palermo, aber immerhin an vier Sonntagen halten sie ihre Innenstädte in diesem Frühjahr für den Autoverkehr geschlossen. Ein landesweites Kultur-, Sport-, Kinder- und Musikprogramm soll den Bürgern vermitteln, dass eine Stadt ohne Autos keinen Verzicht bedeutet, sondern einen Gewinn.

Schon beklagen Zeitungen den „Fußgänger-Stau“

Mit Erfolg: 18 Millionen Italiener begaben sich am ersten Märzsonntag zur Fuß auf Entdeckungsreise in die Innenstädte. In der römischen Innenstadt, wo sich 500.000 Fußgänger drängten, ging die Belastung mit Stickoxiden um fast 90 Prozent zurück.

Minister Ronchi jubelte, der autofreie Tag sei auf dem besten Weg, „in die DNA der Italiener einzudringen“. Der Mailänder Corriere della Sera konstatierte gar einen „Fußgänger-Stau“. Schon den ersten Probelauf im September vorigen Jahres hatten in Umfragen 83 Prozent der Italiener gutgeheißen. Allein die postfaschistische Alleanza nazionale mäkelte, die Freifahrt in städtischen Bussen komme einer Verschwendung von Steuergeldern gleich.

Über Nacht freilich dämmerte die Erkenntnis auch in Italien nicht. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt wurde der Wintersmog vor allem in den nebelgeplagten Industriemetropolen des Nordens alljährlich so erregt wie ergebnislos debattiert. Eine Art halbiertes Fahrverbot – an geraden Tagen nur Autos mit gerader Nummer und umgekehrt – hatte allenfalls den Trend zum Zweitwagen gefördert.

Doch so lärm- und abgasfrei sich die italienischen Städte übermorgen auch präsentieren werden – am Montag müssen die todesmutigen Fahrradfahrer in Palermo wieder auf den gewohnten Mundschutz zurückgreifen.RALPH BOLLMANN