„Ich mache das Gegenteil“

Zur Expo 2000 baut der Architekt Peter Zumthor für die Schweiz einen Pavillon aus frisch geschnittenen, lose geschichteten Holzbalken. Im Lauf der Zeit wird das Holzlager absinken

Peter Zumthor: Kaffee? ... Wo wird das Interview denn erscheinen? Wozu ich sagen muss, dieser journalistische Aufhänger, der passt mir eigentlich nicht, weil es dann genau dort bleibt, und nicht weiterführt. Ich muss Möglichkeiten finden, genau über meine Arbeit zu sprechen.

taz: Dann reden wir doch über Ihre Arbeit am Schweizer Expo-Pavillon.

Da gab es verschiedene Interessen. Die eine ist, einen Holzbau aufzuziehen, in dem die normalerweise verpönten Eigenschaften des Holzes zum Thema werden. Holz schwindet und quillt und trägt nur in eine Richtung gut. Das führt dazu, dass man das Holz, das berühmte heimelige, zerhackt und wieder zusammenleimt. Leimanteil zirka 20 Prozent. Das führt weiter dazu, dass man das Holz aufschneidet und wie bei einem geschienten Bein Metallteile einfügt und das ganze vernagelt und vernietet. Ich mache das Gegenteil. Dieses Gebäude ist aus Massivholz und es wird in diesen sechs Monaten einige Zentimeter niedriger werden. Das ist supermodern. Die Konstruktion mit Spannstäben und Federn, die es auf den Boden pressen, drückt diese Modernität aus.

Haben Sie ein besonderes Verhältnis zu Holz?

Ich habe auch ein besonderes Verhältnis zu Glas. Das hat dazu geführt, dass ich Glas beim Kunsthaus Bregenz nicht hightechmäßig verwenden wollte, sondern dass es so an der Fassade angebracht ist, als ob das auch der nächste Klempner um die Ecke machen könnte. Die Tafeln werden geschnitten und geklemmt. Ich habe ein besonderes Verhältnis zu Stein, zu Filz, zu Seide, zu Gold und Silber. Ich habe zu allem ein besonderes Verhältnis.

Sie meinen, zu den naturhaften Materialien?

Ich habe ein unglaubliches Verhältnis zum Film. Ich finde, Licht, das durch einen farbigen Film auf eine Leinwand trifft, hat einen ganz anderen Zauber als das Licht, das vorne mit elektronischen Punkten erzeugt wird.

Sie sprechen von einer Ästhetik als Folge der technischen Produktionsbedingungen?

Ich bin da ein bisschen wie Goethe. Der hat erst geschaut und dann versucht, seine Empfindungen zu verstehen. Ich frag mich, wieso gefällt mir so ein Screen aus einer Videoproduktion nicht so gut wie die Projektion des Films?

Was sagen Sie zu den Videoclips der Popmusik, die speziell auf diesen Screens entstanden sind?

Wenn ich ein Video anschaue von dem Amerikaner, wie heißt er noch, der berühmteste Videomensch?

Nam Jun Paik?

Auch ein gutes Beispiel. Mein’ ich aber nicht. Hat viel mit Video gearbeitet und hatte vor zwei Jahren eine große Ausstellung im Kunsthaus ...

Bill Viola?

Vielleicht noch ein besseres Beispiel. Aber der andere Amerikaner, der berühmteste von allen ...

Bruce Naumann?

Bruce Naumann, okay. Danke. Wenn ich diese drei anschaue, da stimmt das Medium. Diese Bruce-Naumann-Dinger brauchen dieses künstliche Geflimmer. Das schöne Pathos eines Films, das wäre da daneben. Das zeichnet einen Künstler aus, dass er mit einem Medium richtig umgeht.

Und die Videoclips, die unseren medialen Alltag prägen?

Da habe ich jetzt ein Problem, weil ich sehr selten Fernsehen schaue. Ich schau mir Krimis an, Fußball und Tennis. Meinen Alltag prägt das also nicht so stark. Ich lese, ich mache Architektur, ich höre Musik, ich mache Musik. Das ist keine prinzipielle Abneigung. Ich kann mir vorstellen, dass es eine Videoästhetik gibt in diesen Clips. Aber es gibt andere Dinge, die ich zuerst machen würde.

Reizwort Plastik. Hat das für Sie als Architekt Bedeutung?

Kommt drauf an. Damit sind viele Dinge möglich, die vorher nicht möglich gewesen wären. In Berlin zum Beispiel, bei meinem Entwurf für die „Topographie des Terrors“ sind die vielen Knoten, die das Gebäude möglich machen, zum einen Teil konventionell gespannt und gepresst. Zum anderen Teil ist die doppelte Sicherheit, die die deutschen Prüfstatiker wollen, durch Kleben geleistet worden. Da bringt die moderne Technologie sehr viel. Für statisch beanspruchte Bauteile ist man noch nicht so weit. In der Mode gibt es bei den Stoffen schon hervorragende Dinge, die zum Teil besser sind als die Natur.

Sie nehmen Mode also wahr?

Das finde ich eine sehr interessante Geschichte. Letzten Samstag habe ich in Mailand den Giorgio Armani kennen gelernt. Aber ich werde nicht für ihn arbeiten. Dieser Rhythmus der Mode mit Herbst, Frühling, Herbst, Frühling, so war Armani auch. Da habe ich gesagt, ich habe meine eigene Zeit, die tickt nicht so. Armani hatte irgendein Bild von mir gesehen und genau so, so hätte er gerne einen Laufsteg in seiner alten Fabrik. So etwas mach ich nur einmal, habe ich geantwortet. Dem begegne ich viel, dass die Leute meinen, Sie können Bilder kaufen. Ein Bild oder den Namen. Beides führt zu kurzlebigen Architekturen.

Ergibt das in der Architektur ein Splitting in Fashion und Basics wie in der Mode?

Mich erinnert das an Shopping. Da geht man in den Laden und sagt, in Ulm oder Düsseldorf bräuchten wir einen Hollein am Ufer oder einen Gehry am Berg. Das kann man sich zusammensuchen, und die Architekten liefern das dann auch ab. Das ist in Ordnung. Für die. Für mich passt es nicht, vorgefertigte Bilder zu bedienen. Ich biete eine Auseinandersetzung mit dem Ort und mit der Bauaufgabe und meine neue zeitgenössische Sichtweise. Und wenn man Glück hat, gibt es eine Art Spannung und Chemie, wo etwas Neues entsteht. Das biete ich an. Ich habe kein Business. Ich bin leidenschaftlich gerne Architekt.

Klingen Sie frustriert ?

Mich macht es traurig, wenn ich sehe, dass die Leute Werte nicht erkennen. Hier im Dorf gibt es einen Felsen, bei dem vier schöne Wohnhäuser eine fast burgruinenartige Gruppe bilden. So. Und nun reißen sie das ab und sprengen – es ist unglaublich – diesen Felsen von Haldenstein weg. Und dann bauen sie eine Tiefgarage, legen ein paar Steinreste an die Rampe und stellen das himmeltraurigste Normhaus drauf. Ich lebe hier in einem Raum, wo man diesen Übergang noch erleben kann, von der alten bäuerlichen Kultur mit ihrer lokalen volkstümlichen Bauweise zur neuen internationalen volkstümlichen Bauweise aus dem Baukatalog, die dann überall gleich ausschaut, von hier bis zur Nordsee.

Sagten Sie volkstümlich?

Ja, sicher. Diese Bauweise kommt nicht von den Hochschulen. Die kommt von den Bauzeichnern und Baumeistern aus dem Dorf. Das ist zutiefst volkstümlich. Das ist auch in Deutschland so, alle Länder sind davon befallen. In fünfzig Jahren werden die volkskundlichen Institute das zu studieren beginnen und untersuchen, wo die Einflüsse herkamen, wie plötzlich Tirol Mode und alles mit Holzbalken verziert wurde. Das wird man dann schon irgendwie gut finden, aber nicht jetzt in dieser Übergangszeit, wo man diese herrliche, unglaubliche Kraft der alten Dinge noch spürt.

Haben Sie sich damit abgefunden?

Ich bin alter Achtundsechziger, habe zehn Jahre lang in der Planung und Denkmalpflege gearbeitet. Da habe ich etwas gelernt. Meine Arbeit ist die eines Chirurgen. Ich mache punktuelle Eingriffe. Wir leben nicht in einer Gründerzeit, und selbst wenn man so tut, wie in Berlin, bleibt es auch da eine Ansammlung von punktuellen Eingriffen, weil diese kapitalistischen Demokratien nicht mehr in der Lage sind, auf einer formalen Ebene zu einer Form zu gelangen. Die zerstreiten sich sofort. Das drückt nämlich überall durch, dass es um Termine und um Geld geht. Bauen, verkaufen, das ist ein Prozess von vielleicht fünf Jahren. Was danach kommt, interessiert nicht. Die Architekten folgen dem und versuchen aus der Not eine Tugend zu machen.

Können Sie noch ein Wort zum Konzept Ihres Expo-Pavillons sagen?

Das Wichtigste ist, dass er eine gesamtkunstartige Dauer-Performance darstellt. Ich bin der künstlerische Direktor und der Architekt, und zusammen sind wir ein Team von 500 Leuten, mit Kuratoren für Mode, Regie, Gastronomie, Klang, Theater, Architektur und Literatur. Die Architektur selbst ist, wie wenn Sie im Wald sind. Da gibt es keine Wege und viele Bäume. Manchmal kommt eine Lichtung und manchmal kommt ein Teich und Sie hören die Vögel.

Klingt gut.

Nachdem achtzig bis neunzig Prozent von all dem anderen Zeugs audiovisuell aufgepeppt sind, ist hier bewusst nichts medial. Null. Aber knallmodern. Unser Ziel ist es, die Besucher der Expo auf überraschende Art zu unterhalten und zu entspannen.

Herr Zumthor, noch eine Frage zu Mode und Architektur. In Erinnerung an Adolf Loos, der das Ethos der Architektur immer auch in Kleidungsfragen fand, wie wichtig ist Ihnen das richtige Schuhwerk?

Sehr wichtig.

Turnschuhe?

Diese neue Mode, die mag ich jetzt ausgesprochen nicht, dass man überall in diesen dummen Turnschuhen rumläuft. Ich trage die zum Tennis.

Achtundsechzig, was haben Sie da getragen, die berühmten Studentenklassiker Clark’s?

Nein, lokales Schuhwerk, das, was die Landwirte im Stall anhaben, mit Vibramsohle, billiges, stabiles Zeugs.

Interview: NIKE BREYER