500 JAHRE ENTDECKUNG BRASILIENS: EINE FEIER OHNE VOLK
: Weltmeister Brasilien

Selbst die Wettergötter gaben ihren Kommentar: Just als sich Indios aus ganz Brasilien zur letzten Etappe ihres Protestmarsches nach Porto Seguro aufmachten, verdüsterte sich der Himmel, über Bahias Küste ging der heftigste Wolkenbruch seit Tagen nieder. Noch deutlicher war das Lehrstück, das die irdischen Herrscher 500 Jahre nach der portugiesischen Kolonisierung inszenierten. Zusammen mit dem Medienkonzern Globo wollte der ehemalige Linksintellektuelle und heutige Präsident Fernando Henrique Cardoso die „Entdeckung“ des Landes ohne kritische Zwischenrufe abfeiern. Auf dem Strand von Coroa Vermelha wurde ein bombastisches Kreuz aus Edelstahl errichtet. Doch als die IndianerInnen vor drei Wochen in der Nähe ein eigenes Denkmal aufstellen wollten, kam die Militärpolizei mit Planierraupen.

Landlosen, Schwarzen, Indios, ArbeiterInnen – all jenen, die ihren Widerstand gegen 500 Jahre Ausbeutung artikulieren wollten, wurde der Zugang nach Porto Seguro mit Arroganz und Gewalt verwehrt. Die Feier geriet ungewollt zum Symbol für die neoliberale Politik Cardosos, die auf dem Rücken und unter dem Ausschluss der Bevölkerung ausgetragen wird. Von der Öffnung der Finanz- und Warenmärkte profitieren zuallererst ausländische Banken und Firmen. Dieses Jahr werden 30 Milliarden Dollar zur Bedienung der Auslandsschulden fällig, die sich inzwischen auf rund 240 Milliarden Dollar belaufen. Die Versteigerung lukrativer Staatsbetriebe geht weiter.

Im sechsten Regierungsjahr von Cardoso ist Brasilien weiterhin Weltmeister in ungerechter Einkommensverteilung: Das oberste Zehntel der 170 Millionen Einwohner streicht über die Hälfte des Volkseinkommens ein, den ärmsten 40 Prozent stehen ganze 7 Prozent zur Verfügung. 46 Millionen Menschen müssen mit weniger als 80 Mark im Monat auskommen. Kein Wunder, dass nur wenigen BrasilianerInnen nach Feiern zumute war.

„Andere 500 Jahre“ forderten die DemostrantInnen in Südbahia. Mit großem Erfolg haben sie zumindest eine neue Protestrunde gegen die Regierung Cardoso eingeläutet. GERHARD DILGER