Tränengas und warme Worte

Zum 500. Jahrestag der „Entdeckung“ Brasiliens riegelt die Militärpolizei die Küstenstadt Porto Seguro ab und greift friedliche DemonstrantInnen an. Die Indios verweigern sich einem feierlichen Treffen mit Staatspräsident Cardoso

Aus Coroa VermelhaGERHARD DILGER

Alle hatten sich gut auf den großen Tag vorbereitet: Tausende von Indios, Schwarzen, StudentInnen, Landlosen und GewerkschafterInnen, die gegen soziale Ungerechtigkeit demonstrieren wollten – genau 500 Jahre nachdem der Seefahrer Pedro Alvares Cabral bei Porto Seguro zum ersten Mal die Küste Brasiliens gesichtet hatte. Aber auch Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso wollte mit seinem portugiesischen Kollegen Jorge Sampaio in Porto Seguro die „Entdeckung“ feiern und auf einem Fototermin Harmonie mit Indianervertretern demonstrieren.

Doch daraus wurde nichts: Am Freitag beschlossen die 2.000 Delegierten der Indianerkonferenz von Coroa Vermelha in Südbahia, dem Präsidenten ihre Forderungen an einem anderen Tag zu überbringen. „Während die Invasion unseres Landes durch die Weißen gefeiert wird, soll im Ausland der Eindruck erweckt werden, dass die Regierung uns gut behandelt,“ sagte Nailton Pataxó Hã Hã Hãe, einer der Organisatoren der Konferenz. „Aber immer hat sie uns vergessen, und ausgerechnet jetzt sollen wir empfangen werden?“

Die Hauptforderung der Indios ist die Zuweisung und Absicherung von Land. Mehr als die Hälfte der 594 Indianerterritorien ist noch nicht demarkiert. In 85 Prozent des Indianerlandes dringen Siedler, Goldschürfer und Holzfirmen ein. Auch Agro-, Pharma- und Bergbaukonzerne sind an der Ausbeutung der Indianergebiete interessiert. Doch die Regierung hat die Mittel für die Demarkierung gekürzt und ergreift bei konkreten Konflikten meist Partei für antiindianische Interessengruppen.

Am Samstagmorgen schlug die Militärpolizei des Staates Bahia zu. Im Zentrum von Coroa Vermelha ging sie mit Tränengas, Knüppeln und Gummigeschossen auf einen Protestzug der Schwarzenbewegung los und nahm 140 Personen fest. Die Indios brachen um halb elf zum 20-Kilometer-Marsch nach Porto Seguro auf. Doch bereits nach einer halben Stunde lösten mehrere Hundertschaften der Militärpolizei die Demonstration brutal auf. Stundenlang hielten die Polizisten mehrere Angehörige des Indianermissionsrats Cimi fest, die zu den wichtigsten Unterstützern der Indios zählen. Kirchenleute und Politiker der oppositionellen Arbeiterpartei hatten sich vergeblich um freies Geleit für den friedlichen Marsch bemüht.

Auch mehrere tausend Landlose, die am Samstag vom Nachbarort Eunápolis nach Porto Seguro fahren wollten, wurden durch Polizeisperren aufgehalten. Die Küstenstadt war von 5.000 Militärpolizisten hermetisch abgeriegelt worden. Am Samstagnachmittag trafen Cardoso und Sampaio im historischen Stadtkern von Porto Seguro ein. Das brasilianische Präsident erinnerte in seiner Tischrede auch an die Schattenseiten der letzten 500 Jahre. „Der Preis für die Ausweitung der Grenzen unseres Territoriums war die Eliminierung indigener Völker, woran uns deren Vertreter heute zu Recht erinnern“, sagte Cardoso. Die Proteste der Landlosen seien ein „Echo“ der „Sklaverei, die bis heute auf der brasilianischen Gesellschaft lastet und sie zu einer der ungerechtesten Gesellschaften der Welt macht“. Es handle sich um die „unbequeme, aber notwendige Erinnerung daran, dass die Konzentration des Landbesitzes weiterhin Millionen von Brasilianern von den Früchten der Entwicklung ausschließt“.

Noch am Vortag hatte er den Aktivisten der Landlosenbewegung MST eine „faschistische Mentalität“ vorgeworfen. Und am Festtag selbst lobte sein Sicherheitsminister, General Alberto Cardoso, die Polizei für ihren „angemessenen Einsatz“. Aus Protest gegen die „Aggression der Regierung gegen die organisierte Indianerbewegung“ kündigte Carlos Marés, der Vorsitzende der staatlichen Indianerbehörde Funai, seinen Rücktritt an. Ihn erinnere das Vorgehen der Polizei an die Repression der 60er-Jahre und zeige ihm die Unfähigkeit der Regierung, mit der sozialen Frage umzugehen. Trotz des abrupten Endes der Proteste sprach Indioführer Aurivam Truká von einem „großen moralischen Sieg“. Der Sternmarsch nach Coroa Vermelha und die viertägige Konferenz waren die bisher größte landesweite Mobilisierung der brasilianischen IndianerInnen.

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