Mit stumpfer Feder

Modern und moderat: Mit buntem Layout unterstützt eine chinesische Jugendzeitung die Reformen des Regimes und schreibt schwarze Zahlen

von SVEN HANSEN

Der Nachbar im Flugzeug blättert interessiert in der Beijing Qingnianbao, der Pekinger Jugendzeitung. Darauf angesprochen, erklärt der Endvierziger, ein Beamter aus der Hauptstadt: „Sie ist eine der besten Zeitungen Chinas: aktueller, unabhängiger und frischer als andere.“

In der Redaktion im Süden Pekings betont Chefredakteur Zhang Yanping den wirtschaftlichen Erfolg: „Wir hatten letztes Jahr Werbeeinnahmen von 354 Millionen Yuan (65 Millionen Mark) gegenüber 500.000 Yuan 1991. Damit sind wir auf nationaler Ebene die Nummer sechs und wollen zur zwei oder drei werden.“ Das Blatt sei für Werbung so interessant, weil die Hauptleserschaft zwischen 30 und 40 Jahre alt ist. Eine Gruppe, die heute Dank der Wirtschaftsreformen Chinas wohlhabendste Schicht repräsentiert.

Die Jugendzeitung kann auf eine Geschichte von 51 Jahren zurückblicken, obschon sie als Organ des kommunistischen Pekinger Jugendverbandes mehrfach in parteiinterne Machtkämpfe verwickelt war und verboten wurde. Erst seit 1981 erscheint das Blatt wieder regelmäßig.

„Damals hatten wir als Wochenzeitung nur vier Seiten bei einer Auflage von 20.000“, so Zhang, der 1981 als Nachrichtenredakteur begann. Inzwischen beträgt die Auflage bei bis zu 48 Seiten täglich 1,5 Millionen. „Wir sind Pekings größte Abonnentenzeitung.“ Mit großen Überschriften, großformatigen Fotos und Vierfarbdruck bedient sich das Blatt eines vergleichsweise modernen Layouts. Grund für den Erfolg ist laut Zhang die frühe Orientierung an den Bedürfnissen der Leser. „Wir machten schon in den 80er-Jahren Marktforschung, als wir weniger Zuschüsse bekamen.“

Ärger macht den Journalisten nur die eigene Hotline

Die Zeitung reagierte mit Reportagen über Sozialthemen. „Manche sagen, wir nutzen unseren Spielraum besser als andere“, so Zhang. So erscheinen heute auch zweisprachige Texte zum Englischlernen und Songtexte westlicher Popgruppen. Es gibt regelmäßig Auto- und Computerbeilagen, die zum Beispiel MP3-Musikdateien aus dem Internet erklären.

Auch eine Hotline richtete das Blatt ein: „Falls Sie auf Unerwartetes, Dringliches, Bewegendes, Interessantes stoßen, dann melden Sie sich unter Telefon: 67 33 37 17, E-Mail: bjhotline@263.net oder Fax: 67 33 37 07“. Heute erreichen die rund um die Uhr besetzte Hotline 300 Anrufer pro Tag, für eine gedruckte Geschichte gibt’s bis zu 500 Yuan. Die Hotline bringt natürlich auch Ärger: „Wir können nur typische Sachen berichten, aber den Ämtern auch Probleme melden. Wir haben Redefreiheit, aber dürfen die Interessen anderer nicht verletzen“, sagt Zhang und bekräftigt, dass China viel offener geworden sei.

Weil die experimentierfreudige Jugendzeitung schwarze Zahlen schrieb, wurde Zhangs Vorgänger von der Partei zur Beijing Wanbao geschickt, der Abendzeitung, und dessen Stellvertreter zur Beijing Chenbao, der Morgenzeitung.

„Wir erfüllen die Bedürfnisse derjenigen, die sich an den Wirtschaftsreformen beteiligen“, sagt der 42-jährige Zhang, der mit seinem Outfit selbst das moderne, städtische China verkörpert. Die 200 Journalisten der Jugendzeitung seien die jüngsten und bestbezahlten der Branche: „Alle haben einen Hochschulabschluss, das Durchschnittsalter ist 30 Jahre, das Monatseinkommen liegt bei 5.000 Yuan.“ Das sind 1.200 Mark und 120 Mark mehr, als ein Abteilungsleiter im mächtigen Staatsfernsehen CCTV verdient. Inzwischen habe sich die Hälfte der Redaktion Privatautos angeschafft, was in China noch immer eine Seltenheit ist – ein Darlehen der Zeitung macht’s möglich.

Als KP-Mitglied vertritt der Chefredakteur die Regierungslinie. „Was die nicht erlaubt, dürfen wir nicht schreiben, denn wir werden von der Regierung bezahlt“, sagt Zhang. Monatlich würden die Chefredakteure ins Ministerium bestellt, wo ihnen die Richtlinien vorgelegt würden. Zurzeit seien religiöse Fragen tabu. So schreibt auch die Jugendzeitung nur auf offizieller Linie über die Sekte Falun Gong – und berichtet etwa über einen fanatisierten Anhänger, der sich den Bauch aufschlitzte.

Für Zhang ist der Unterschied zwischen in- und ausländischen Medien dennoch gering: In China gehörten sie der Regierung, im Ausland Konzernen. Informationen ausländischer Medien oder aus der Sonderzone Hongkong dürften nur mit Erlaubnis verwendet werden.

Die Rolle seiner Zeitung definiert Zhang so: „Sie soll die Meinung der Regierung vertreten, aber dem Geschmack des Publikums entsprechen.“

Und das tut Beijing Qingnianbao so erfolgreich, dass die Redaktion zum 1. Juli umziehen darf: „Unser neues Gebäude hat 26 Stockwerke. Wir vergrößern uns von 3.000 auf 26.000 Quadratmeter.“