Wie Blade Runner in Disneyland

■ Ein Herz aus Strom und blaue Bohnen im Hintern: „Astroboy“, die Mutter aller japanischen Mangas, erscheint seit Mai als neue Serie im Hamburger Carlsen Verlag

In Japan ist er größer als Walt Disney: Osamu Tezuka. Sein Comic-Werk umfasst 150.000 Seiten, seine Animes könnten 60 Abende füllen. Im Westen ist er dennoch bisher weitgehend unbekannt. Das könnte sich jetzt allerdings ändern. Im Hamburger Carlsen Verlag erscheint nun in deutscher Übersetzung Tezukas erste, zwischen 1952 und 1968 entstandene Serie: „Tesuwan Atom“. Das bedeutet eigentlich „Eisenarm Atom“; bekannter wurde Tezukas rührend nostalgischer Cyberpunk-Vorläufer allerdings unter seinem amerikanischen Titel: Astroboy.

Und was für ein Kerlchen das ist, dieser kleine Roboter. In den Füßen steckt ein Raketenantrieb, im Po verbirgt sich ein Maschinengewehr, und Ohren hat der Junge ebenfalls: Bei Bedarf verstärkt er sein Gehör um das 10.000fache des menschenlichen. Zählt man all seine Gadgets zusammen, sieht selbst der Big Brother-Knast dagegen ziemlich alt aus. Traurig ist Astroboy allerdings auch manchmal ob seiner Identitätsprobleme. Vielleicht liegt die Melancholie aber auch nur an dem kleinen Kernkraftwerk, das ihm sein Zeichner, von Haus aus eigentlich ein Doktor der Medizin, sieben Jahre nach Hiroshima statt eines Herzens implantierte. Macht ihm das Gemüt keinen Strich durch die Rechnung, ist Astroboy stets und schnell zur Stelle, wenn ihn die Welt – und vor allem: Japan – braucht, um Gefahren terrestrischer und extraterrestrischer Art abzuwehren. Dabei folgt er stets der humanistischen Devise seines Schöpfers, der in Japan als „Gott des Manga“ verehrt wird: „Liebe alle Kreaturen dieser Welt! Liebe alles, was lebendig ist!“

Nicht nur der technische Fortschrittsoptimismus der 50er Jahre und eine ungewöhnlich pädagogische Deeskalationsstragegie zeichnen den kleinen Helden aus – obgleich Astroboy auch als legitime Blaupause der weitaus dystopischer Mensch-Maschinen-Visionen des Akira-Schöpfers Katsuhiro Otomo gelten muss. Im Werk Osamu Tezukas erleben wir die Geburtsstunde des modernen Manga: Bereits im 1947 erschienen Shin Takarajima („Kleine Schatzinsel“) dynamisierte er maßgeblich die zeichnerischen und erzählerischen Mittel über die einzelnen Panels hinaus, um jenen „filmischen“ Effekt zu erzielen, den man mit dem Genre verbindet. His-torisch interessant ist das für Pophistoriker, ziemlich knuffig für alle anderen. Tobias Nagl

Astroboy, Carlsen Verlag, Hamburg 2000, je Band ca. 200 Seiten, jeweils 9,80 Mark