besuch der alten dame
: CEM ÖZDEMIR über Herthas bundespolitische Bedeutung

EIN APPLAUS IM HOHEN HAUS

Als wir Politiker noch in Bonn saßen, am schönen Rhein, und unterhalb des Langen Eugen die legendäre Fußballmannschaft der grünen Bundestagsfraktion Grüne Tulpe mit ihrem Kapitän Joschka Fischer regelmäßig gegen die Cream Boys aus Köln verlor, da hat man sich schon lustig gemacht über die Berliner: Hohoho, eine Hauptstadt ohne Mannschaft in der ersten Bundesliga. Wo gibt's denn so was?

Gut, Bonn hatte auch keine Mannschaft in der 1. Liga – aber Madrid mit Real und Rom mit AS und vor allem München mit gleich zwei Mannschaften schon! Daran sollten sich die Spreeathener doch mal ein Vorbild nehmen. Wozu hatte man Berlin denn eigentlich zur Hauptstadt gemacht, wenn sie nicht mal das auf die Reihe kriegten?

Inzwischen hat sich die Situation geändert: Hertha BSC ist mit dabei und wenn es sein muss und der Zufall es will, dienen Spiele von Hertha BSC auch als Beiprogramm für Staatsbesuche.

Kürzlich hatte ich das Vergnügen, gemeinsam mit dem ehemaligen Spielführer der Grünen Tulpe, Fischer, und dem Außenminister der Republik Türkei, Ismail Cem, dem Spiel Hertha BSC gegen Galatasaray Istanbul beizuwohnen, das Hertha mit preußischem Glanz verlor und Istanbul mit türkischem Gloria, das bis in die späte Nacht hinein noch in Kreuzberg nachhallte, gewann. Schön, auch wenn ich als Neuberliner und Mensch mit türkischen Eltern in der ersten Halbzeit für Istanbul und in der zweiten für Hertha war. Ich hätte es lieber umgekehrt gemacht, um beim Schlusspfiff mitjubeln zu können.

Aber egal. Im bundespolitischen Alltagsgeschäft spielt Hertha BSC dennoch keine stürmende Rolle – abgesehen vom Streit um die Heimstatt der Herthaner, das Olympiastadion: Im Haushalt des Innenministeriums wurden in diesem Jahr 20 Millionen und für die kommenden Jahre insgesamt 80 Millionen Mark für die Sanierung des Stadions bereitgestellt. Ob es der multinationalen Truppe von Jürgen Röber zu schönerem Fußball verhilft, möchte ich gerne hoffen.

Daneben hat Hertha einen bekannten CDU-Bundestagsabgeordneten zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates: ein Luxus, den sich auch der eine oder andere marode Fußballclub im Ruhrgebiet leistet.

Zu Solidaritätsadressen im hohen Haus hat der sich allerdings bisher noch nicht herabgelassen, dazu musste erst ich als Fan der Stuttgarter Kickers an das Rednerpult des Bundestages treten, um in der haushaltspolitischen Debatte vom 23. 11. 1999 zu sagen: „Aber Sie (die Abgeordneten der Opposition, Anm. des Autors) werden uns abnehmen, dass diese Bundesregierung den in europäischen Wettbewerben verbliebenen deutschen Fußballmannschaften die Daumen drückt. Ich darf sicherlich auch für das ganze Haus sagen, dass wir heute Abend Hertha die Daumen drücken.“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen)

Der Applaus macht deutlich, dass wenigstens die Regierungsfraktionen des Deutschen Bundestages die Aktivitäten des traditionsreichen Berliner Fußballvereins durchaus wohlwollend zur Kenntnis nehmen – auch wenn der Platz vor dem Reichstag bis heute nicht für Spiele der Grünen Tulpe freigegeben und geeignet ist. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Cem Özdemir (34) ist Mitglied des Deutschen Bundestages und innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen