Das Museum ist das bessere Theater

Wie sich Museumsdirektoren die Zukunft der Vergangenheit vorstellen: interaktiv, interkulturell – und manchmal „deaccessed“. In Luxemburg traf sich die „Internationale Assoziation der Geschichtsmuseen“

An erbaulichen Vitrinen vorbeischlendern und „Oh, guck mal, wie schön!“ rufen und dann erholt heimlatschen und nichts gelernt haben? Von wegen! Künftig müssen sich Museumsbesucher darauf gefasst machen, „kulturell destabilisiert“, „einbezogen“, „mit mehr Fragen als Antworten konfrontiert“ – kurz: zu harter intellektueller Mitarbeit gezwungen zu werden. Angedroht wurde das jedenfalls während eines Kolloquiums der „Internationalen Assoziation der Geschichtsmuseen“ und der Stadtmuseen, zu dem vom 3. bis 6. Mai Vertreter von über hundert Museen aus aller Welt nach Luxemburg kamen.

Laut Rosemarie Beier-de Haan vom Deutschen Historischen Museum in Berlin waren sich die Museumskuratoren einig, „noch nie so viel über sich selbst nachgedacht zu haben“. Haben Museen „nach dem Ende aller Gewissheiten“ noch eine Mission? Was ist überhaupt ein historisches Museum? Ein „Bilderbuch zur Geschichte“? Oder ein „Identitätsmedium für lokale Gemeinschaften“? Es könnte auch ein „verdichteter Kommunikationsprozess“ sein – jedenfalls immer „eine subjektive Konstruktion“.

Die Besucher können sich nicht mehr darauf verlassen, Originalobjekte zu sehen. Es kann ihnen passieren, dass sie aufgefordert werden, sich vor die Kopie einer Herkulesstatue zu setzen und über die Frage „Brauchen wir Helden?“ nachzudenken – also aus der „Prometheus“-Ausstellung des DHM „selbst etwas zu machen“. Andere Häuser, wie das Jerusalemer Stadtmuseum, kommen ganz ohne Ausstellungsobjekte aus – mussten sich aber sagen lassen, dass Objekte ein „Schutz gegen ideologische Vereinfachung“ sein könnten.

Diskurse statt Exponate

So gesehen, ist von den demnächst in Brüssel und Marseilles eröffneten Europa-Museen wohl reine Propaganda zu erwarten. Sie kündigen „keine Exponate, sondern einen Diskurs“ an. Ob die Leute wohl zum Diskurs fahren werden? Doch für Darryl McIntyre vom Nationalmuseum in Canberra ist ein Museum heute „eher Information als Artefakt“. Die Australier hätten alle Internet-Anschluss und könnten sich auch im Busch ihr eigenes virtuelles Museum bauen. Neben den hohen Kosten für die Technik sei nun die größte Herausforderung des Museums, die Online-Besucher bei der Stange zu halten.

Mark Jones vom Schottischen Nationalmuseum ging das dann doch zu weit. „Wir müssen die Aufmerksamkeit auf die Gegenstände zurückleiten“, forderte er: „Wir sollten ihre Macht nicht unterschätzen – sie sind eine direkte Verbindung zu Menschen in anderen Zeiten.“ Von den Museen werde oft verlangt, die „verstaubten Objekte zu vergessen und das ganze Disney-mäßig zu regeln“ – die Museen hätten aber „weder den Sachverstand noch das Geld für den Wettbewerb mit der Vergnügungswelt“. Das häufige Scheitern von museumsähnlichen Attraktionen zeige, dass ein Umbau des Museums zum Freizeitpark nicht Erfolg versprechend sei. Zum Beispiel habe in London der Millennium Dome deutlich weniger Besucher als das altmodische British Museum.

In Edinburgh wird das Publikum dann auch streng behandelt. Trotz Protesten, der Hollywood-bekannte schottische Nationalheld William „Braveheart“ Wallace wird ignoriert; und obwohl die Besucher „nach Autorität hungern“, werden die Nationalmythen ohne Gnade in Frage gestellt, um „festgelegte Denkweisen zu destabilisieren“.

Dank einer „mentalen Revolution“ der Museumsmacher soll es bald europäische Geschichte zu bestaunen geben. „Wir müssen Europa ernster nehmen“, forderte Hermann Schäfer vom Bonner Haus der Geschichte. Nächsten Monat wird die virtuelle Ausstellung „Europa, eine lange gemeinsame Geschichte“ eröffnet (www.euroclio.net). „Reale“ europäische Ausstellungen gibt es noch kaum – zu schwierig ist der neue Blick auf die alten Sammlungen. Umso größer war daher das Lob für die Gemeinschaftsausstellung „Nach dem Krieg“ der Städte Lörrach, Liesthal und Mulhouse und für ein Projekt, bei dem rund um die Ostsee verschiedene Museen den Weg eines Schweden des 17. Jahrhunderts durch ihre Region verfolgen.

Die Museen wollen aber nicht nur Staatsgrenzen überwinden, sondern sich auch verstärkt um Immigranten und gesellschaftliche Minderheiten kümmern. Vorreiter ist dabei Amsterdam: Das Bibelmuseum predigt nicht mehr, sondern will auch Muslime ansprechen; das Stadtmuseum heuert Museumsführer aus den Ausländervierteln an und hat eine Homosexuellen-Kneipe originalgetreu rekonstruiert.

Ungewollt Weltfußballmuseum

Nachdem endgültig alles museumswürdig geworden ist, werden Selektionsprobleme immer drängender. Obwohl sich Kevin Moore vom englischen Fußballmuseum entschieden hat, in Preston „keine Fußballstadien zu sammeln“, kann er sich vor der Flut von Leihgaben kaum retten. Es wäre „politisch schwierig gewesen“, die Fifa-Kollektion abzulehnen – so wurde man ungeplant zum Weltfußballmuseum.

In den USA führte Platz- und Geldmangel zu einer Diskussion über „deaccessing“: Dürfen Museen „überflüssigen“ alten Krempel wegschmeißen oder ihre Depots zu Geld machen? Für Nanna Hermansson vom Stockholmer Stadtmuseum undenkbar. „Ich habe zwei Tonnen Tabakpfeifen – und ich verkaufe keine einzige!“ Und bevor es in ihren heiligen Hallen Bier-oder Tabakwerbung gibt, entlässt sie eher Mitarbeiter.

US-Museen müssen sich da mehr einfallen lassen. Selbst bei ihnen macht aber Sponsoring durch Unternehmen nur vier Prozent der Einkünfte aus – die Haupteinnahmequelle sind Vermächtnisse. Die Museen wollen daher ihre Besucher – und möglichen künftigen Geldgeber – nicht nur intellektuell fordern, sondern durch Emotionen und theatralische Inszenierung bei Laune halten.

Volker Geissler, der gerade in Luxemburg eine spektakuläre Hexenausstellung gestaltet hat („Incubi Succubi“, bis 29. 10.), erläuterte, wieso er lieber fürs Museum als für die Bühne arbeitet: Mit fremden Welten, in denen die Besucher herumgehen und selbst auswählen können, sei die Zeit viel besser einzufangen als mit dem „Theater des 18. Jahrhunderts, wo die da oben auf der Bühne alles besser wissen“. Schön sei aber, dass der „temporäre Charakter“ von Bühnenstücken erhalten bleibe: „Museen ändern sich dauernd. Was soll also die Aufregung?“ MARTIN EBNER

Lust, durch das 20. Jahrhundert zu spazieren? LeMO, das „Lebendige virtuelle Museum Online“ des DHM, des Bonner Hauses der Geschichte und des Berliner Fraunhofer-Instituts ISST, ist fertig gestellt: www.dhm.de/lemo