Der Sieger steht fest

Wenn Äthiopien am Wochenende wählen geht, können die Regierungspartei und ihre regionalen Satelliten gar nicht verlieren

aus Negelle und Addis Abeba PETER BÖHM

An den Häuserwänden finden sich immer dieselben vier Plakate, alle mit demselben Parteisymbol. „Das sind die Kandidaten“, sagt der junge Mann, der davor steht. Welcher für das Parlament in Äthiopiens Hauptstadt antritt und welcher für den Regionalrat des Bundesstaates Oromia, kann er allerdings nicht sagen. Aber registriert hat er sich, und wählen will er am Sonntag auch.

Auch Hussein Gallgallo weiß die Antworten nicht. Gallgallo ist ein junger Regierungskader Ende zwanzig. Er arbeitet im Landratsamt von Negelle und wird, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wo, für den Regionalrat von Oromia antreten. „Ich war zwei Monate in der Hauptstadt. Ich bin deshalb nicht auf dem Laufenden“, verteidigt er sich.

Zwar sind die Oromo die größte Ethnie Äthiopiens. Aber sie stehen mehrheitlich in Opposition zur Zentralregierung, die von der ehemaligen Tigray-Rebellenbewegung TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) dominiert wird. 1991 noch, nach dem Sturz des sozialistischen Militärregimes, hatte die Oromo-Guerillabewegung OLF (Oromo-Befreiungsfront) gemeinsam mit der TPLF in der Regierung gesessen. Aber nachdem sie 1993 die gemeinsame Regierung verließ, wurde die OLF verboten und rief bei den Wah- len 1995 zum Boykott auf. Der wurde hier mit großer Mehrheit befolgt, und auch heute noch dürfte die OLF trotz extremer Repression eine große Anhängerschaft haben.

Die Regierung hat in Oromia eine legale Konkurrenzpartei zur OLF aufgebaut: Die OPDO (Volksdemokratische Oromo-Organisation). Alle vier Plakate in Negelle sind von der OPDO. Gegenkandidaten gibt es im gesamten Oromo-Land wenige. Ähnlich sieht es in ganz Äthiopien aus: Überall kandidieren die jeweiligen lokalen Verbündeten der Regierungspartei EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front des äthiopischen Volkes), die aus der TPLF hervorgegangen ist. Die EPRDF-Regierung hat Äthiopien in strikt nach ethnischen Kriterien geformte Bundesländer geteilt. Es gibt seitdem nur noch ethnische Parteien, keine landesweite Oppositionsgruppierung mehr. Da die meisten Gegenkandidaten in den Städten antreten und dort teilweise gegeneinander, gehen Beobachter davon aus, dass die Opposition höchstens 20 Prozent der Parlamentssitze kriegen kann – selbst dann, wenn sie überall gewinnt, wo sie antritt.

Äthiopien spielt Wählen, und keiner schaut zu. Wahlbeobachter aus der EU, wie es sie sonst bei den meisten Wahlen in Afrika gibt, wurden nicht eingeladen, waren also nicht erwünscht. Einzig von der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) werden Beobachter präsent sein, außerdem von der unabhängigen Äthiopischen Menschenrechtskommission. Ihr Generalsekretär Makonnen Bishaw weiß allerdings nicht, ob seine 120 Beobachter an ihre Bestimmungsorte reisen können. Denn es fahren kaum Busse mehr aus der Hauptstadt Addis Abeba hinaus ins Land, weil die Regierung sie braucht, um neue Rekruten an die Kriegsfront gegen Eritrea zu karren.

Die einzige Region, wo es annähernd so etwas wie Wahlkampf gab, war das „Südliche Nationalitäten“-Bundesland im Südwesten, wo verschiedene kleinere Bevölkerungsgruppen leben. Die Sicherheitskräfte organisierten dort eine Kampagne gegen angebliche Steuerschuldner, obwohl die Steuern gewöhnlich erst im Juni bezahlt werden. Vier Menschen wurden bei Unruhen getötet, 16 Kandidaten der oppositionellen „Koalition der Alternativen Kräfte“ und 500 ihrer Anhänger eingesperrt. Die Kandidaten wurden inzwischen bis auf einen auf Kaution freigelassen.

Trotz der ethnischen Spaltung der Parteienlandschaft gibt es einen Punkt, der Regierung und Opposition klar trennt: die Frage, ob es zukünftig privates Eigentum am Boden geben soll. Die Opposition hält die augenblickliche Regelung, wonach das Land dem Staat gehört und die Bauern es lediglich pachten, für ein Investitionshindernis. Für Kleinbauern, sagt Biologieprofessor Bayane Petros, zugleich renommierter Politiker der „Koalition der Alternativen Kräfte“, seien langfristige Pachtverträge ungünstig, weil die Bauern dadurch keinen Anreiz hätten, ihr Land zu verbessern. Die Regierung argumentiert, mit privatem Landbesitz beginne „der Prozess der Differenzierung“, wie Ministerpräsident Meles Zenawi Ende April sagte.

Obwohl das Ergebnis schon feststeht, sind diese Wahlen für Äthiopien ein Wendepunkt. In der neunjährigen Regierungszeit der EPRDF war es bisher unvorstellbar, dass Staatsfernsehen und -radio Diskussionen mit Oppositionspolitikern in die hintersten Winkel des Landes tragen. Der Generalsekretär der Menschenrechtskommission, Makonnen Bishaw, ist deshalb zuversichtlich. „1995 hatte die Opposition die Wahlen noch geschlossen boykottiert. Im Vergleich dazu sahen wir eine deutliche Verbesserung. Ich glaube, dass es der Regierung schwer fallen wird, diese neue Offenheit nach den Wahlen zurückzustutzen.“